Studentenalltag

Zukunftsangst – eine unüberwindbare Mauer?

Graue Beton-Mauer mit einem Gesicht zum Thema Depression
Geschrieben von Studiblog Staff

Nun ist es also soweit, da steht diese Mauer vor mir. Ein paar Meter sind es noch, aber irgendwann stehe ich direkt vor ihr. Nicht in der Lage, sie zu überspringen und wenn ich zu den Seiten schaue, sehe ich weit und breit nicht mal einen Knick, geschweige denn ein Loch. Am liebsten würde ich umdrehen, meinen bisherigen Weg nochmal komplett überdenken, den Punkt finden, der mich in diese Richtung hat abbiegen lassen. Aber ich kann nicht, ich gehe beständig weiter auf diese Mauer zu. Ohne, dass ich es wirklich will und ohne, dass ich bremsen oder sogar anhalten kann.

Ich hoffe, die Metapher ist halbwegs gelungen und allen Lesern ist einigermaßen klar, dass diese Mauer den Punkt darstellt, bis wohin ich mein Leben mit der Zeit weiter und weiter geplant habe. Ich weiß nun, was mir meine Geschwister immer vermitteln wollten, wenn sie sagten, wie gerne sie nochmal die siebte Klasse besuchen würden. Sie sehnten sich nicht nach dem Unterricht, nach dem Stoff, nach dem Mobbing, den ekelhaften Toiletten, die man dann doch ab und an besuchen musste, der Sporthalle, vor der gefühlt jede Woche ein Krankenwagen stand. Nein, sie sehnten sich nach der Freiheit, nach dem Unterricht, die Schule Schule sein zu lassen. Sie sehnten sich nach ihren damaligen Klassenkameraden, mit denen man oft durch dick und dünn gegangen ist. Und sie sehnten sich vor allem nach diesem Blick in die gefühlte Unendlichkeit, wenn man sich vorstellt, was in soundso viel Jahren mal ist.

Seit der siebten Klasse sind bei mir mittlerweile fast 10 Jahre vergangen und ich kann mittlerweile ganz genau nachempfinden, wie sich meine Geschwister damals fühlten. Im Kindergarten war klar, dass ich demnächst die Grundschule besuchen werde. In der Grundschule war klar, dass ich danach mindestens fünf, wahrscheinlich aber neun Jahre lang eine weiterführende Schule besuchen würde. In der Unter- und Mittelstufe des Gymnasiums war klar, dass ich in die Oberstufe komme. Und in der Oberstufe wurde mir dann auch klar, dass für mich irgendwie nur ein Studium in Frage kommt. Am besten schnell und sofort, ohne zeitraubende Work-and-Travel-Monate.

Und nun stehe ich dort, wo ich stehe. Zwischen mir und der Mauer befinden sich noch genau drei Semester (wenn denn alles glatt geht…). Seit Wochen schlafe ich fast jede zweite Nacht richtig schlecht ein. Egal, wie früh ich am Morgen aufgestanden bin oder wie früh ich am nächsten Morgen aufstehen muss. Ich sehe, wie all das, was ich mir als Jugendlicher erträumt habe, trotz meines unaufhaltsamen Fortschritts in immer weitere Ferne rückt. Ich mache mir Gedanken, wie mein Leben in fünf Jahren aussieht. Habe ich einen Job? Habe ich vorher noch einen Master gemacht? Bin ich verheiratet? Verlobt? Vergeben? Single? Habe ich Kinder, habe ich ein Haus, habe ich ein Auto, was auch nur annähernd in mein Automobil-Enthusiasten-Raster passt? Wie viel verdiene ich überhaupt? Oder bin ich gescheiterter Hartz-4-Empfänger?

Diese Ungewissheit bringt mich momentan echt an den Rand des Wahnsinns.

Es wühlt mich so sehr auf, dass sogar mein Körper schon entsprechende Signale der Überforderung sendet. Erst vor zwei Tagen hatte ich einen halben Kollaps, Herzschlag und Atmung haben sich extrem schwer und unterdrückt angefühlt. Ich bin ins Krankenhaus, der Arzt dort beruhigte mich zum Glück. Atmung, Puls und Blutdruck seien völlig normal. Die Symptome, die ich beschrieben habe sind typisch für Stress und Überforderung. Bisschen Baldrian und die Sache läuft wieder.

Schön und gut, aber warum erzähle ich euch das und warum ausgerechnet hier? Nun, ich habe das Gefühl, dass ich mit dieser Zukunftsangst oder Zukunftsungewissheit alles andere als alleine bin. Ihr kennt das doch. Es gibt immer diese Kommilitonen, denen irgendwie alles in den Schoß fällt. „Lustig, ich war gestern im Institut auf Klo, da war noch ein anderer. Die Dauer meines Händewaschens hat ihn so beeindruckt, das er mir einen bezahlten Praktikumsplatz mit Einstiegsmöglichkeit nach dem Studium angeboten hat!“ In der Regel funktioniert das aber ganz anders. Man rennt monatelang den Dozenten hinterher, hat monatelang einen echt entspannten Tagesablauf, bevor dann drei Hausarbeiten innerhalb von einer Woche geschrieben werden müssen. Auf Bewerbungen folgen meist Absagen, wenn die werten Herrschaften sich überhaupt dazu erbarmen, zu antworten. Die Generation Y, zu der wir ja bekanntlich gehören, hat auch dieses Problem, dass immer alles im Einklang sein muss. Soll doch mal einer Marty McFly fragen, was er von Work-Life-Balance hält, wenn er uns im Laufe des Jahres besuchen kommt. Bei uns muss ein Zahnrad ins andere greifen, unser Leben muss laufen wie ein Schweizer Uhrwerk.
Dass das nicht der Fall ist, ist mir jetzt klar geworden. Ich glaube, dass wir alle früher oder später an diesem Punkt ankommen. Die meisten von uns werden irgendwann diese paar verbleibenden Semester zwischen sich und der unüberwindbaren Mauer sehen. Was nun? Eine Möglichkeit wäre, ungebremst gegen diese Mauer zu rennen und wie in einer schlechten Clip-Comedy-Show dumpf abzuprallen und liegen zu bleiben. Einfach aufgeben, auf alles scheißen, wir können ja zum Glück auf die Unterstützung des Staates bauen.

Eine sinnvollere Methode, mit dieser Mauer umzugehen, wäre aber, sich irgendeinen Gegenstand zu suchen und so lange auf diese Mauer einzuschlagen, bis sich ein Loch auftut, hinter der sich eine neue Welt eröffnet. Auf einmal macht alles wieder einen Sinn. Man hat die Jugend endgültig hinter sich gelassen und kann nun auf einer neuen Stufe ganz von vorne anfangen. Zwischen dem Jetzt und der nächsten Mauer, der Rente, liegen noch ungefähr 40 Jahre. Das ist doppelt so viel Zeit, wie wir für unser bisheriges Leben gebraucht haben.

Dieser Gegenstand, mit dem wir die Mauer einschlagen, sollte unser Erfahrungsschatz sein.

Die meisten von uns haben in den letzten zwei Jahren gelernt, allein klar zu kommen. Viele haben schon Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt gesammelt, sei die Branche noch so weit vom langfristigen Ziel entfernt. All denjenigen, auf die das nicht zutrifft, kann ich nur empfehlen, endlich flügge zu werden. Glaubt mir, auch wenn es anfangs nicht leicht ist, die Routine kommt schnell und es ist eine unglaubliche Bereicherung für euch und eure Eltern. Wir bzw. alle, die in der Schule und im Studium ähnlich schlecht waren/sind wie ich, sollten genau diese Tatsache als Lehre nutzen. Nun ist es Zeit für den Endspurt, lasst uns nochmal so einen richtigen Selbst-Arschtritt verpassen.

Egal, ob euch das hier betrifft, ich fordere euch alle jetzt auf: Macht etwas aus eurem Leben. Wie lautet der Spruch? Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens. Nutze ihn. Egal, was du jetzt tust. Und egal, ob du gerade in der Mensa dieses Zeug löffelst, was sie als Kartoffelpüree bezeichnen oder ob du eigentlich gerade ins Bett wolltest. Packt das Handy weg, macht Facebook aus, macht die Konsole und den Fernseher aus, legt das Buch weg, setzt euch wieder an euren Schreibtisch und seid produktiv. Startet einfach irgendwas. Macht eure Hausaufgaben, schreibt ein wenig an eurer Hausarbeit, macht euch eine To-Do-Liste für den nächsten Tag, meldet euch mal wieder bei euren Eltern. Schreibt eine Bewerbung für einen Nebenjob oder ein Praktikum, geht mal wieder zum Arzt und lasst euch gründlich durch-checken, informiert euch über das Weltgeschehen (damit meine ich Themen wie Griechenland, die Ukraine, IS, Naturkatastrophen und nicht Themen wie Kim Kardashians neues Po-Implantat). Und wenn ihr euch jetzt denkt, dass das doch alles keinen Sinn hat, dass eine einmalige Aktion euer Leben nicht verändert, dann probiert es doch einfach mal. Scheitern kann man immer, aber Aufgeben sollte für niemanden eine Option sein müssen.

Und wenn der erste Arschtritt gewirkt hat und ihr damit irgendetwas, irgendjemanden oder zumindest euch selbst sinnvoll bereichert habt, dann fangt an, euch Ziele zu setzen. Fragt euch einfach mal: „Was will ich in wieviel Jahren haben. Wie kann ich jetzt anfangen, darauf hin zu arbeiten?“ Und sobald ihr eine entsprechende Antwort gefunden habt, fangt damit an. Ob ihr es glaubt oder nicht, dieser Text hier ist mein Anfang.

Und an alle, die nicht mehr vor eine Mauer stehen, sondern bereits tief in einem Loch drin sitzen: Sucht euch Hilfe! Ein Psychotherapeut muss niemandem peinlich sein, es muss ja auch nicht die ganze Welt wissen. Und ich kann aus eigener Erfahrung mit Depressionen sagen: Es lohnt sich! Es kann wieder aufwärts gehen, wenn ihr es denn nur zulasst. Aufgeben ist keine Option. Und wenn ihr in 10 Jahren mal auf eurer Terrasse sitzt, denkt ihr vielleicht an diesen Text und den daraus folgenden Impuls zurück. Dann könnt ihr eurer cleveren Tochter oder eurem wortgewandten Sohn genau diese Message weitervermitteln.

Von einem Studiblog Leser (H.M)

Photocredit: Richie Preiss / volver avanzar cc

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