Studentencampus

Naturwissenschaft vs. Philosophie – ist es wirklich ungerecht? Ein Nachtrag

Naturwissenschaft vs. Philosophie
Geschrieben von Andre

Vor etwa einem Monat titelte der Spiegel „Ausgebrannte Chemiker, faule Philosophen“ und auch wir berichteten in einem Artikel darüber. Dass wir damit so große Wellen schlagen würden, war nicht vorhersehbar (der Artikel hatte fast 25.000 Aufrufe), aber die anschließende Diskussion hat gezeigt: Es besteht Redebedarf.

Für den nachfolgenden Text setzen wir die Kenntnis unseres ersten Artikels voraus 😉

Zugegebenermaßen, wir haben den Artikel oberflächlich gehalten und uns an den Aussagen der Studentin des Spiegel Artikels orientiert. Unsere fast unverschämte Umfrage, in welcher Form das Philosophiestudium existieren sollte, brachte ein erstaunliches Ergebnis hervor:

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Neben Beifall aus dem Lager der Naturwissenschaften

gab es natürlich, nicht nur von Geisteswissenschaftlern selber,  eine Menge Kritik. Es gab unzählige Facebook Kommentare und weitere Nachrichten. Ein Punkt dabei war immer, warum man so einen Vergleich überhaupt anstellt. Schließlich sind solche Fächer schwer zu vergleichen. Nun ja, hier muss man sagen, dass wir Menschen halt zu Vergleichen neigen. Besonders auf dem Campus gibt es den ständigen Vergleich, wer „das schwerste Studienfach“ hat. Dies wird auch noch in 100 Jahren so sein, so sinnig oder unsinnig es auch sein mag.

Unsere Frage nach einer Umstellung des Studienganges zeigte ein interessantes Ergebnis, denn nur 17% sagten, alles soll so beim Alten bleiben. Fakt ist: Philosophie abschaffen ist natürlich Quatsch. Philosophie ist wichtig und wird an den Universitäten immer vertreten sein.

Wichtige Philosophen wie Bertrand Russel und Frege haben elementare Beiträge zur Mathematik geliefert. Einstein hat sich stark für Philosophie interessiert. Philosophie ist kein Gelaber, sondern die Reflexion der Begriffe und Methoden in den anderen Wissenschaften. (rescogitans.de)

Ein interessantes Experiment: Klickt in einem beliebigen Wikipedia Artikel immer auf die erste Verlinkung. Irgendwann seid ihr beim Artikel Philosophie angekommen 😉

Wir bekamen oft Kommentare wie:  „Warum macht ihr das? „Lasst doch die Philosophen in Ruhe.“ „Was beschwert ihr euch…?“

Die Studenten, die neben einem naturwissenschaftlichen Fach Philosophie studieren, müssen es ja wissen. Dies sind meistens Studenten, die Philosophie studieren, weil es sie brennend interessiert und meistens bekamen wir die Aussage: „Das kann man schwer vergleichen, weil es natürlich etwas völlig anderes ist, sich in einen philosophischen Text zu versetzen, diesen zu verstehen und darüber nachzudenken, als chemische Formeln zu lernen bzw. anzuwenden.“

Jeder, der sein Fach liebt und es mit Begeisterung studiert, wird sich etliche Stunden in der Woche mit dem Stoff beschäftigen. Dies ist bei den Geisteswissenschaften genauso wie bei den Naturwissenschaften. Der wichtige Punkt ist tatsächlich: Man sucht sich sein Studium aus nach seinen persönliche Vorlieben. Man kann ein noch so guter Chemiestudent sein und würde vielleicht trotzdem das Philosophiestudium abbrechen, weil man keinen vernünftigen Einstieg in die Materie findet.

Die persönliche Präferenz für sein Studienfach ist ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg. Es ist eine Typfrage und genau das ist der Grund, warum jeder sein Studium als anspruchsvoll empfindet. Ein Mensch, der sich gerne tiefgründig mit Texten befasst, gerne abstrahiert und nachdenkt, für den ist ein Philosophiestudium (oder auch eine andere Geisteswissenschaft) durchaus ein anspruchsvolles Studium. Diese Art Studium würde ein solcher Student nicht bei den Naturwissenschaften finden. Die Taktfrequenz der Aufgaben, Protokolle, Versuche etc. ist einfach eine ganz andere, hier gibt es wenig Zeit zum Nachdenken, es wird „abgeliefert“.  Der Grund, dass man diese Studiengänge schwer vergleichen kann, ist also nicht nur eine Frage des Stoffes, sondern auch der Typfrage.

Dies alles sind wichtige Punkte,

die man immer im Kopf haben sollte, wenn man sich über Studiengänge unterhält und sie versucht zu vergleichen. Also ist es doch gar nicht ungerecht, oder? Nein, es ist nicht ungerecht, denn jeder Studienabschluss hat am Ende seinen gesellschaftlichen Stellenwert. Dies ist eine Stelle, an der man gut in ein Fettnäpfchen treten kann… Angenommen, wir stellen einen Chemiker und Philosophen mit Abschluss nebeneinander und würden eine Umfrage machen, wer wohl für seinen Abschluss mehr ackern musste. Die Mehrheit der Bevölkerung würde den Chemiker wählen und das aus dem Grund, weil viele Menschen über die Aspekte, über die wir eben geschrieben haben, nicht nachdenken. Sogar unter Studenten ist dieser Glaube festgebrannt, ansonsten würden Artikel wie der vor vier Wochen zu dem Thema nicht solche Popularität genießen.

Dazu tragen allerdings auch die Fakten bei, die es nicht zu leugnen gibt: In vielen naturwissenschaftlichen Studiengängen wird ausgesiebt. Das ist Fakt und nicht zu leugnen. Wer hier pennt und nicht reinklotzt, wird exmatrikuliert. Das verschafft diesen Studiengängen einen gewissen Respekt. An dieser Stelle möchten wir noch anmerken, nur weil es ein naturwissenschaftliches Studium ist, heißt das nicht, dass man nur auswendig lernt. Ein Zellzyklus kann sogar sehr zum Nachdenken anregen. Es ist keinesfalls so, dass ein naturwissenschaftlicher Sachverhalt nicht auch aus mehreren Sichtweisen betrachtet werden muss. Dies werden die Studenten, die beide Fächer studieren, sicher auch bestätigen.

Nun kommen wir zum Ausgangspunkt der Diskussion. Bei vielen geisteswissenschaftlichen Studiengängen wird eben nicht ausgesiebt. Es gibt eine Vielzahl an Studenten der Geisteswissenschaften, die sich genauso engagieren für ihr Studium wie ein Naturwissenschaftler (–> es ist eine Typfrage!) und diese Studenten verdienen genauso den Respekt aller Studenten.

Und ja, dann gibt es natürlich auch noch „die Anderen“. Die Anderen sind der Grund, warum es solche Artikel überhaupt gibt. Die Anderen sind die, die in den Naturwissenschaften ausgesiebt werden. Oder diejenigen, die „einfach so“ irgendwas Geisteswissenschaftliches studieren, sich durch das Studium tragen lassen, die Hausarbeit bestehen und am Ende auch einen Abschluss haben. Mindestens einen solchen Studenten kennt wirklich jeder von uns. Dieser Student verkörpert dann das Klischee des einfachen geisteswissenschaftliche Studiums. Deswegen stellte sich bei unserem letzten Artikel auch die Frage: Kann man das nicht irgendwie besser überprüfen, ob sich jemand wirklich intensiv mit Leidenschaft und Verstand mit seinem Studienfach beschäftigt hat? So ist es am Ende auch für die Studenten gerechter, die sich wirklich Mühe gegeben haben mit ihrem Studium.

Vielleicht können wir am Ende die Fakten in einem Satz festhalten:

Beide Arten von Studiengängen sind individuell anspruchsvoll, wenn man sie mit Engagement studiert. Studiert man sein naturwissenschaftliches Studium ohne Engagement, fällt man durch. Ein solcher Misserfolg ist in der Geisteswissenschaft einfach leichter abzuwenden.

Sind wir ganz ehrlich, was wäre die Uni ohne solche Diskussionen? Es war toll, wie viele sich nach dem letzten Artikel mit dem Thema beschäftigt haben und dies ist doch eigentlich unser Ziel. Tauscht euch aus. Diskutiert. Es ist besser, über Vorurteile und Klischees zu reden, als sie stumm durch die Generationen zu tragen.

Photocredit: boskizzi cc

Über den Autor/die Autorin

Andre

Studiblog Team.

2 Kommentare

  • Lernt man nicht auch fürs Leben? Ich studiere nicht Chemie um einen Abschluss zu bekommen, sondern weil mich das Fach fasziniert und ich möglichst gut und professionell werden möchte. Der Aufwand für einen auszubildende Chemiker ist nicht so hoch, weil man sie quälen will sondern weil sie in ihrer beruflichen Laufbahn hohe Verantwortung tragen werden müssen. Zitat einer Analytikprofessorin: „…ich will mir nicht sagen lassen, ich würde Chemiker ausbilden, die keine einfache Stöchiometrie können…“. Statt sich über Ungerechtigkeiten aufzuregen, sollte man sich Gedanken drüber machen warum man Chemie studiert.

  • meine Güte was soll das rumgewinsel??
    natürlich sind Naturwissenschaften schwerer,anstrengender,zeitintensiver und nicht zu vergessen psychisch belastender!!

    das Argument „der Philosophiestudent verbringt ja seine gesamte Freizeit mit nachdenken“ zählt nicht,denn im Pharmaziestudium hätte ich auch gerne mal Zeit für Diskussionen,Recherchen was aktuelle Forschung betrifft oder einfach nur das normale fürs Studium nötige Lernen gehabt!hat man aber nicht….
    ich kenne Pharmazeuten,die jede Nacht bis 3 gelernt haben,weil man tagsüber ja nicht dazu kommt….ein Vergleich wäre insofern erst passend,wenn ein Philosophiestudent,auch nach einer 60 Stunden Anwesenheitspflichtwoche seine Nächte und sein Wochenende zum philosophieren nutzt…

    dazu kommt der psychoterror in Pharmazie….ab dem zweiten Tag (1.Semester!) wird man ins Labor gestellt und muss jeden Tag Ergebnisse präsentierten,sonst fliegt man am Ende halt raus….ständig war deswegen eine am heulen oder aggressiv….

    im ersten Semester wird nicht erst am Ende ausgesiebt,nein,das geschieht schon bei der zwischenklausur nach 2 Monaten….da waren die ersten dann weg….

    ich hab selber mal ein Semester Ethnologie studiert….als die Fachschaft mal reinkam um zu fragen,wie überfordert wir denn seien,weil es jetzt ein Bachelorstudiengang ist,meinte eine tatsächlich:“ja also es ist schon schwer,wenn man nebenher noch mehrere Tage arbeitet,dann das wöchentliche Protokoll unterzubringen….“ mir fiel echt die Kinnlade runter!! bei einer 12 Stunden Uni-Woche???
    (in Pharmazie hat uns mal ein Professor gesagt,wer versucht nebenbei noch irgendwie zu arbeiten,ist selber schuld……)

    Naja…also wirklich jammern auf hohem Niveau!
    aber: als Apotheker muss ich mir keine Gedanken wegen Jobfindung machen…immerhin etwas gutes….

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