Studentenalltag

Das Zeitalter der geteilten Aufmerksamkeit

Blonde Frau stützt ihren Kopf auf der geschlossenen Hand ab und schaut Gedanken versunken Richtung Boden - geteilte Aufmerksamkeit.
Geschrieben von Maxim
Ich weiß noch, wie der Geschichtslehrer uns damals in der Schule vom Industriezeitalter erzählte: Überall Fabriken, Maschinen, Fließbänder, Massenproduktion und Wirtschaftswachstum.
Einige Jahre später erzählte uns dann der Informatiklehrer, dass wir seit den 80er Jahren im Informationszeitalter leben. Informationen und Daten seien die neue Währung und Wissen sei Macht. Nun stelle ich eine neue These auf und behaupte, dass wir seit etwa fünf bis zehn Jahren in einem neuen Zeitalter leben. Im Zeitalter der geteilten Aufmerksamkeit.

Was macht diese Phase der menschlichen Zivilisation aus?

Im Mittelpunkt von allem steht unsere Aufmerksamkeit. Sie ist zu der wichtigsten Ressource unseres modernen Lebens geworden. Natürlich war es schon immer wichtig aufmerksam zu sein, sei es um den Säbelzahntiger im Gebüsch zu entdecken, oder um die besten Angebote auf dem Wochenmarkt zu finden.
Aber im Vergleich zu Heute hat sich etwas Grundlegendes verändert. Die Herausforderung besteht nicht länger darin, die Informationen zu sammeln, sondern sie zu filtern. Durch Fernsehen, Radio und vor allem durch die neuen Kommunikationskanäle wie Facebook, Twitter, Youtube, WhatsApp und wie sie sonst alle heißen, bekommen wir ununterbrochen neue Informationen, mit denen wir uns dann auseinandersetzen wollen, sollen und manchmal müssen.
Und das Problem an dem Zeitalter der geteilten Aufmerksamkeit ist, dass es viel zu viele Informationen sind, die uns schlicht überfluten. Wenn es einer Werbefirma früher gereicht hat zu wissen, worauf wir stehen, und es uns auf unserer Lieblingsseite im Netz zu präsentieren, so kämpfen sie heute unerbittert gegen ein Dutzend anderer Werbungen um unsere Aufmerksamkeit. Überall Pop-ups und bewegte Bilder, Musik, blinkende Schrift.
Ohne meinen Adblocker traue ich mich schon gar nicht mehr ins Internet und mache ihn nur auf Seiten aus, die mir tatsächlich etwas bieten und die ich unterstützen will. Aber auch ohne Werbung prasseln Informationen wie unaufhörlicher Herbstregen auf uns nieder. Wenn ich beim Frühstücken mal eben kurz durch Facebook scrolle, habe ich bereits 10 Themen und 50 Meinungen dazu aufgeschnappt.

Natürlich wollen wir so viel wie möglich von der Welt um uns herum mitkriegen.

Und daran ist nichts verwerflich. Doch leider führt es dazu, dass wir uns nicht lange mit einer Sache beschäftigen können, weil wir Angst haben, etwas anderes zu verpassen.
Wer kennt es nicht: Man unterhält sich mit einem Freund oder einer Freundin und plötzlich vibriert das Handy in der Tasche. Eine SMS? WhatsApp? Facebook? Twitter? Vielleicht meine Amazon Bestellung? Oder doch nur ein YouTube Video?
Wir sind gespannt wie ein Kind am Heiligabend und während wir noch still vor uns hin rätseln, verpassen wir das nette Gespräch. Es fällt uns zunehmend schwerer uns länger auf eine Sache zu konzentrieren, denn überall lauert die nächste Ablenkung.

Multitasking war mal ein ganz großes Thema

Die hohe Kunst, mehrere Aufgaben parallel zu machen und alles zu schaffen. Heute weiß man, dass Multitasking überhaupt nicht funktioniert. Die Computer können das – warum nicht die Menschen?
Die Wahrheit ist: Auch Computer können nicht mehrere Aufgaben gleichzeitig machen. Für den Bruchteil einer Sekunde beschäftigen sie sich mit einer Aufgabe, und wenn die Zeit abgelaufen ist, speichern sie den aktuellen Stand, laden eine andere Aufgabe und arbeiten dort weiter. Dies geschieht so schnell, dass wir den Eindruck bekommen, die Programme würden parallel ablaufen. Nun hat der Computer im Vergleich zum Menschen zwei Vorteile. Zum einen kann er viel effizienter speichern und laden und zum anderen kann er seine Aufgaben einfach pausieren. Wer schon einmal versucht hat gleichzeitig zu telefonieren und zu kochen, der weiß, wovon ich rede. Entweder bekommt man die Hälfte des Gesprächs nicht mit, oder das Essen brennt an.
An dieser Stelle fällt mir eine alte fernöstliche Geschichte über einen indischen König ein. Damals, vor hunderten von Jahren, war es üblich, dass mit einem Königreich auch eine Religion einherging und der königliche Hof Priester unterhielt. Doch dieser König war mit allen ihm bekannten Religionen unzufrieden und so beschloss er, seine eigene Religion zu erfinden. Aber was sollte im Zentrum dieser neuen Weltanschauung stehen? Nach langem überlegen kam der König auf drei essentielle Fragen:
  1. Wann ist die wichtigste Zeit im Leben?
  2. Wer ist die wichtigste Person im Leben?
  3. Was ist die wichtigste Tat im Leben?
 Und weil der König weise war, fand er folgende Antworten darauf:

Wann ist die wichtigste Zeit im Leben?

Jetzt! Es ist dieser Moment, denn etwas anderes haben wir nicht. Die Vergangenheit ist nur eine Erinnerung, sie existiert nicht mehr und kann auch nicht verändert werden. Die Zukunft ist nur eine vage Vorstellungen von dem, was werden könnte. Die einzige Zeit, in der wir wirklich sind und etwas bewirken können, ist das Jetzt.

Wer ist die wichtigste Person im Leben?

Nein, das seid nicht ihr selbst. Es ist die Person, die euch in der wichtigsten Zeit des Lebens gegenüber sitzt. Es kann genauso gut ein Gegenstand oder eine Aufgabe sein. Es ist das Objekt, das in diesem Moment eure Aufmerksamkeit erfordert.

Und was ist die wichtigste Tat im Leben?

Sich zu kümmern. Kümmert euch um die wichtigste Person eures Lebens zu der wichtigsten Zeit eures Lebens.
Oder mit anderen Worten: Wenn ihr gerade mit euren Freunden in einem Café sitzt, dann seid in diesem Moment voll und ganz für sie da. Redet mit ihnen, lacht mit ihnen, weint mit ihnen, hört ihnen zu, widmet ihnen eure ganze Aufmerksamkeit, und vergesst dabei nicht zu atmen. Und wenn ihr gerade an eurer Hausarbeit schreibt, dann konzentriert euch nur auf das Thema und lasst euch nicht von anderen Dingen ablenken.
Man verpasst nichts im Leben, wenn man sich eine Zeit lang nur auf eine Sache konzentriert. Aber man erreicht nichts, wenn man seine Aufmerksamkeit ständig teilt.

Photo Credit: Neil. Moralee , cc

Über den Autor/die Autorin

Maxim

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