Studentenbeiträge

Wenn die Beziehung richtig schlechtes Timing hat

Wenn die Beziehung schlechtes Timing hat: Paar von hinten im Gegenlicht
Geschrieben von Pascal Keller

Am Morgen meines letzten Tages versank die ganze Stadt im Regen. Es war ein Sonntagmorgen und der Kater meiner Abschiedsparty immer noch am Abklingen. Ich lag neben ihr, in ihrem 90 Zentimeter-Bett und es war in diesem Moment das kleinste Glück der Welt. Ich schaute sie an, während sie noch schlief und konnte nicht realisieren, dass wir beide bald Geschichte sein würden.

Als sie aufwachte, lächelte sie mich an und gab mir einen Kuss. Sie sagte, sie hätte von mir geträumt. Ich sagte nicht viel, aus Angst etwas Falsches zu sagen. Vielleicht hätte ich sagen sollen: »Ich bleibe hier!« Aber stattdessen lagen wir stillschweigendend nebeneinander und lauschten einfach dem Applaus des Regens.

Gedanken und Bilder gingen dabei durch meinen Kopf. Bilder von unseren gemeinsamen Momenten. Ich schaute sie an und mir fiel auf, dass sie eine kleine Narbe über ihrem Auge hat, die mir bisher noch nie aufgefallen war. Ich hatte so vieles an ihr noch nicht entdeckt… Doch nun war keine Zeit mehr dafür, denn heute war mein letzter Tag in Aguascalientes.

Ich hatte zum ersten Mal auf mein Herz gehört

Als wir uns kennenlernten, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich auf mein Herz gehört. Ich hatte die Entscheidung getroffen meinen Traum zu verwirklichen und 6 Monate nach Mexiko zu reisen und dort als Social Trainee für AIESEC zu arbeiten. Ich wusste nicht genau, wo ich die nächsten Monate verbringen würde und ich wusste nicht, was ich dort genau tun würde. Aber ich spürte, dass es der richtige Weg für mich sein würde.

Unser erster Kontakt war eine kurze Mail: »Hello Pascal, I am Karina and I work for AIESEC Aguascalientes. I am responsible for your internship and I am going to help you find your host family. I would like to skype with you. When do you have time? Un beso, Karina. «

Zwei Tage später skypten wir und ich sah sie zum ersten Mal. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass das mit Kary “love at first sight“ war. Nein, das war es nicht. Aber es ist die Wahrheit, wenn ich sage, dass Kary mich damals mit ihrem Lächeln und ihrer südländischen Art ziemlich neugierig gemacht hat.

Sechs Wochen später kam ich in Aguascalientes an und Kary empfing mich. Ich erinnere mich noch daran, als ich damals aus der Ankunftshalle herauslief und ich ihr Lächeln zum ersten Mal in echt sah. Ich beobachtete, wie sich ihre Lippen rundeten, sich kleine Grübchen in ihren Backen formten und ihre Augen lachten.

»Wow, was für eine süße Frau!“, dachte ich damals.

Der Startpunkt einer Beziehung

In den ersten Wochen nach meiner Ankunft sah ich Kary beinahe täglich. Sie zeigte mir die Stadt, erzählte mir von den mexikanischen Traditionen und brachte mir das Flirten auf Spanisch bei. Im Gegenzug war ich ein guter Schüler und brachte sie zum Lachen. Das reichte aus.

Eines Abends ging ich mit Freunden ein bisschen feiern, Kary war auch dabei. Wir tanzten die ganze Nacht und tranken viel zu viel Tequila. Dann stand sie plötzlich bei dröhnender Batchata-Musik neben mir vor der verschlossenen Klotür und fragte: »Wartest du schon lange?« Ich war betrunken und antwortete: »Auf jemanden wie dich? Schon sehr lange!« Sie fand das lustig und lächelte so, wie sie immer lächelte, wenn sie zwei Tequila zu viel hatte. Ich merkte, dass ich mich verliebt hatte. Ziemlich schlimm sogar.

Drei Tage später fuhren wir zum Festival Internacional del Globo in León und in der ersten Nacht des Festivals passierte das, was sich die Wochen vorher schon angekündigt hatte: Während tausende Laternen in den Himmel flogen, hatten wir unseren ersten Kuss. Wow!

Wenn es einen endgültigen Startpunkt für eine Beziehung gibt, dann war das unser endgültiger Startpunkt gewesen. Um zu beschreiben, was wir danach zusammen erlebten, dafür reicht dieser Blogpost nicht aus.

Wir gingen auf hunderte weitere Dates und philosophierten über das Leben, bis uns die Augen vor lauter Müdigkeit zu fielen. Wir campten am Strand von Sayulita und machten Liebe bei den ersten Sonnenstrahlen. Wir aßen die besten Taccos Mexikos und ritten zusammen auf einem Pferd in den mexikanischen Sonnenuntergang (kein Witz).

Es waren so viele kleine und große Momente dabei und in dem Wissen, dass unsere Zeit begrenzt sein würde, fühlte sich jeder irgendwie besonders an.

Wir waren fernab der Realität

Ich hatte nicht vor, bald nach Mexiko zurückzukommen. Ich sagte ihr das nicht, wahrscheinlich, weil ich es nicht noch komplizierter zwischen uns machen wollte. Wir sprachen sowieso nicht viel über unsere gemeinsame Zukunft. Keiner von uns wollte die Realität aussprechen.

Eigentlich wussten wir beide von Tag 1 an, dass wir zum Scheitern verurteilt waren und trotzdem verliebten wir uns. Vielleicht, weil wir uns beide irgendwie gesucht hatten. Vielleicht, weil wir uns beide brauchten. Vielleicht, weil wir naiv waren und auf etwas hofften, das nie eintreffen würde: uns irgendwann wieder zu treffen, irgendwann, wenn Zeit und Ort stimmen würden.

Sie fände es sehr schade, wenn ich bald nicht mehr da sei, sagte sie ab und an und schaute mich dann mit ihren großen brauen Augen an, als wäre sie ein Teddybär. Einmal, als sie das sagte, platzte es aus mir raus und ich fragte: »Und was, wenn ich einfach hierbleibe?« »Ach Quatsch«, sagte sie schnell. Ich glaube, sie hätte es nie gewagt, mich zu fragen, ob ich nicht doch alles absagen wollte. Sie hätte es gar nicht ertragen, dass ich ihretwegen bleibe. Aber sie hat es sich bestimmt gewünscht, vielleicht sogar so sehr, wie ich gerne geblieben wäre.

Nur: Was, wenn wir doch nicht zueinander gepasst hätten? Sollte ich meinen Lebensplan wegen dieses Hochgefühls umwerfen, das vielleicht wenige Wochen später weg gewesen wäre? Das war das Schlimmste: Mein Rückflug war gebucht und wir beide wussten, dass sich die Frage »Gehen oder bleiben, Kopf oder Herz?« gar nicht stellt. Gleichzeitig entband uns diese Feststellung von jeder Verantwortung. Nicht wir, sondern das Timing ist es gewesen!

Die Wahrheit über die Liebe

Oft glauben wir, dass Liebe so funktioniert: Wir treffen jemanden und spüren, dass diese Person, die richtige Person für uns ist. Wir daten diese Person. Haben den ersten leidenschaftlichen Kuss. Wir verbringen eine wunderschöne Zeit und kommen mit dieser Person zusammen. Wir heiraten, bekommen 2,5 Kinder und ziehen in das schicke Landhaus am See.

Das ist, wie Liebe in Hollywood-Filmen passiert.

Und das hier ist, wie Liebe (oft) in der Realität passiert: Wir treffen jemanden und spüren, dass diese Person, die richtige Person für uns ist. Wir daten diese Person. Wir verbringen eine wunderschöne Zeit zusammen und dann…ja dann, ist alles irgendwann einfach vorbei. Wir heiraten diese Person nicht. Wir werden nicht die nächsten Jahre neben dieser Person aufwachen. Wir werden mit ihr nicht unsere Kinder im Landhaus am See großziehen.

Warum?

Weil das Leben oft seinen eigenen Plan hat und die Liebe manchmal einfach zum falschen Zeitpunkt in unser Leben kommt. Und das macht den ganzen Unterschied.

Denn seien wir mal ehrlich: Trotz verrückter Mengen an Romantik ist Liebe nicht immer genug, um zusammen zu bleiben. Natürlich ist das “Wer“ wichtig, natürlich spielt das “Wie“ eine Rolle, aber ich glaube, dass vor allem das “Wann” der entscheidende Faktor ist, wenn es um den Verlauf einer Beziehung geht. Das habe ich in den letzten drei Jahren selbst oft genug erlebt und von anderen Freunden gehört.

So wie einer meiner Kumpels, der mir seit Jahren erklärt, er wäre noch immer mit seiner Exfreundin zusammen, wenn sie beide damals nicht zu jung gewesen wären. »Nie mehr werde ich jemanden so lieben wie sie«, sagt er dann gerne.

Oder eine Freundin, die vergangenes Jahr eine schmerzhafte Trennung hinter sich hatte. Sie wollte danach ihre Ruhe haben, sich selbst kennen lernen. Leider verliebte er sich Hals über Kopf in ihren neuen Mitbewohner, der natürlich zwei Monate später sein Auslandsjahr in den USA geplant hatte.

Beispiele wie diese gibt es wohl in jedem Twentysomething-Freundeskreis. Denn in keiner anderen Zeit unseres Lebens erleben wir so viel Veränderung, wie in unseren Zwanzigern. Es ist die Dekade unseres Lebens, die vor Abenteuer und Veränderungen nur so explodiert. Eine Dekade, die gepflastert ist mit neuen Menschen, Orten und Erfahrungen.

Und so passiert es häufig in den Zwanzigern, dass sich zwei Menschen treffen, die eigentlich zusammen gehören, aber deren “Wann” nicht passt. Manchmal ist das eigene Vorankommen gerade wichtiger. Manchmal die Karriere, die Familie oder der eigene Traum. Und manchmal ist die schwierigste und gleichzeitig liebevollste Entscheidung dann, sich gegenseitig gehen zu lassen. Denn die richtige Person zur falschen Zeit, ist nicht die richtige Person.

Das traurige Ende einer Beziehung

Als meine Sachen gepackt waren, fuhren wir zum Flughafen. Auf der Fahrt sprachen wir kein Wort miteinander. Wir waren beide viel zu sehr mit uns beschäftigt. „So muss sich wohl ein Patient fühlen, wenn er gesagt bekommt, dass er nicht mehr lange hat“, dachte ich mir in diesem Moment. Und wir beiden machten innerlich gerade das durch, was so ein Patient fühlt. In uns beiden herrschte ein Gefühlschaos. Trauer gemischt mit Hoffnung und Aussichtslosigkeit.

Eine Stunde später, war dann der Moment gekommen, den wir monatelang vermeiden wollten: “Flight to Frankfurt, please get ready for Check-in.“, schallte es aus den knirschenden Lautsprechern. Kary schaute mich an, als wollte sie sagen: »Jetzt oder nie!«. Doch die Würfel waren gefallen. Gegen uns.

Am Check-In Schalter verabschiedeten wir uns. Sie hatte Tränen in den Augen und während wir uns ein letztes Mal umarmten flüsterte sie mir ins Ohr: »Te amo, Pascal!« Das war das einzige Mal, dass ich Kary weinen sah. Und es war auch das einzige Mal, dass wir beide aussprachen, was wir wirklich füreinander fühlten: Liebe.

Als das Flugzeug losflog, las ich den Brief, den mir Kary zum Abschied geschrieben hatte und den ich erst im Flugzeug lesen sollte. Eine Träne rollte über meine Wange, während ich die ersten Zeilen las. Auf die erste Träne folgten leise weitere. Erst jetzt realisierte ich so richtig, dass unsere Geschichte vorbei war.

Warum es okay ist, Liebe zu verlieren

Mein Abschied aus Aguascalientes ist nun mehr als 1,5 Jahre her und ich habe Kary seitdem nicht mehr wieder gesehen. Ich würde lügen zu behaupten, ich wäre danach nicht glücklich geworden. Aber dennoch hat mich Kary noch lange nach meiner Rückkehr beschäftigt.

Zunächst skypten wir oft, ich schrieb ihr nachts WhatsApp-Nachrichten, wenn ich alleine war und ihr Lachen vermisste. »I`ll come to see you soon«, schrieb ich dann. Manchmal schaute ich mir unsere gemeinsamen Bilder an und hörte unsere Lieder. Dann kamen die ewig kreisenden Gedanken:

Hätte ich sie bloß ein halbes Jahr früher getroffen. Hätte ich sie lieber gar nicht getroffen. Hätte ich mit meiner Rückkehr bloß noch ein bisschen gewartet. Hätte ich sie nach Deutschland eingeladen. Meine Freunde erteilten mir irgendwann ein »Hätte«-Verbot. Sie waren es wohl leid, während irgendwelcher Fußballübertragungen immer wieder die traurige Geschichte einer verlorenen Liebe vorgejammert zu bekommen.

Vor allem mein bester Kumpel hatte irgendwann genug und sagte mir deutlich seine Meinung, als ich mal wieder mit meinem »Hätte« anfing: »Dann was? Dann würdet ihr jetzt eure gemeinsame Wohnung einrichten, oder wie? Vielleicht, vielleicht auch nicht! Euer Timing hat nicht gepasst!« »Das ist es ja«, jammerte ich weiter, »hätten wir uns ein Jahr vorher getroffen, dann hätte alles gepasst!« Mein Kumpel stöhnte auf: » Du mit deinem “Hätte”. Liebe braucht kein “Hätte“, kein “Sollte“ und auch kein “Wäre“, Liebe braucht ein “Ist“. Und ihr habt kein “Ist“. Punkt. Doch weißt du, was ihr beide habt? Ihr beide habt Erinnerungen, die euch niemand mehr nehmen kann und das ist verdammt viel wert!«

Dieser letzte Satz traf mich

Er tat weh, aber beinhaltete eine verdammt große Portion Wahrheit. Denn hier ist eine Wahrheit, die ich in den letzten Monaten über die Liebe gelernt habe: Nur weil wir manche Menschen nicht für immer in unserem Leben halten können, schmälert das nicht die Liebe, die sie uns gegeben haben. Manche Menschen kommen nur für einen bestimmte Zeit in unser Leben, aber hinterlassen einen so starken Abdruck in unserem Herzen, dass wir immer lächeln werden, wenn wir an sie denken.

Manche Menschen können uns in 6 Monaten mehr lieben, als andere in 50 Jahren. Manche Menschen können uns innerhalb einer einzigen Woche mehr lehren, als andere im Verlauf eines ganzen Lebens.

Und wer sind wir, zu sagen, dass das nicht genug ist? Wer sind wir, die Bedeutung dieser Menschen herunterzuspielen, unsere Erinnerungen an sie zu verdrängen oder zu vergessen, wie sie unser Leben zum Besseren verändert haben, nur weil unsere Wege irgendwann abgezweigt sind?

Vielleicht sollten wir einfach dankbar dafür sein, dass wir diese Menschen überhaupt kennen lernen durften. Dass wir sie lieben durften. Dass wir von ihnen lernen durften. Dass sie unserem Leben ein Glücksgefühl gegeben haben, das wir so nie zuvor gespürt haben. Eine Liebe zu verlieren muss nicht die größte Tragödie der Welt sein. Mit der richtigen Perspektive kann es sogar ein Segen sein. Immerhin gibt es Millionen von Menschen, die einmal in ihrem Leben gerne das gehabt hätten, was wir hatten.


PS: Gestern war Kary’s Geburtstag und ich schrieb ihr: »Thank you for giving me some of the best days of my life. Te extraño, Pascal.«

Sie rief mich an und sagte, sie vermisse mich ebenfalls. Eine Liebe zu verlieren, ist eben manchmal doch nicht so leicht…

Bild: pexels

Über den Autor/die Autorin

Pascal Keller

Pascal hat zwar nicht alle Antworten auf das Leben als twentysomething, aber er versucht sie zu finden und damit die Welt zu erobern ;-) In der Zwischenzeit gibt er seine gesammelten Erfahrungen an junge Menschen weiter und hilft ihnen damit, mehr aus ihren Zwanziger zu machen. Vielleicht hilft er auch dir weiter.

Erfahre mehr über Pascal und seine Arbeit auf www.pascalkeller.com

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