Studentenbeiträge

Reisebericht Paris: Der blinde Passagier

Reisebericht Paris: Im Vordergrund ist ein Karussell zu sehen, im Hintergrund der Eiffelturm
Geschrieben von c.rancho

Heute ist der erste Tag, an dem ich mich an meine verbotene Anwesenheit einigermaßen gewöhnt habe. Um mein illegales Dasein in diesem Apartment zu verstehen, muss man der Reise vorangegangene Tatsachen kennen. Meine Mitbewohnerin Jana und unsere Freundin Judith planten eine Reise nach Paris, wobei ihnen die Freundschaft von Judiths Mutter zu einer Pariserin (Christin, im Allgemeinen seeeehr freundlich) mit zwei Wohnungen in der Innenstadt zu Gute kommen sollte.

Sie beschlossen, einen Flug dorthin zu buchen und fragten mich, ob ich sie begleiten wolle. Spontan – weil noch jung, dynamisch und für alle Möglichkeiten offen – willigte ich ein. Leider konnten wir Christin nicht erreichen, um zu fragen, ob auch drei Personen erwünscht seien. Aber Judith versicherte, an der Sache wäre kein Problem zu erkennen; wo Platz für zwei sei, wäre auch Platz für drei. Abgesehen davon würde der Flugpreis bei längerem Warten weiter steigen und so war der Klick auf den Button „jetzt buchen“ ein Leichtes.

Die unangenehme Wendung kam nach einer Woche, als Christin Judiths Anfragemail beantwortete, in der natürlich nicht stand, dass wir bereits gebucht hatten. Christin teilte Judith mit, es wäre ihr sehr unrecht und sowieso auch auf keinen Fall möglich, da die Wohnung, direkt am Montmartre gelegen, viel zu klein wäre. Auch auf Judiths zweite Mail, etwas dringlicher formuliert, beteuerte Christin ihr Unbehagen in Bezug auf eine dritte Person.

Obdachlos in Paris

Dies ist der Werdegang meiner Obdachlosen-Existenz in Paris. Am ersten Abend konnte ich noch in der Wohnung von Marianna Unterschlupf finden, einer Freundin eines Freundes. Sie bewohnte ein 15 Quadratmeter-Zimmer mit ihrer Mitbewohnerin Jo zusammen und empfing am Abend ihren Freund, der ebenfalls dort nächtigen sollte. Da ich den beiden Mädels nicht weiter auf den Sack gehen wollte ─ beide herzallerliebst, jedoch merklich im Prüfungsstress ─ beschloss ich am zweiten Tag, wie jeder anständige, niedrigverdienende Touri, die Nacht in einem Hostel zu verbringen.

Reisebericht Paris: Schwarz-Weiß-Aufnahme mit rotem Schriftzug: Hostel

Dass Paris teuer ist, das weiß ja nun wirklich JEDER. Aber keiner, der je hier war, weiß welche Ausmaße die Höhe der Preise hier annehmen können. Um nur ein paar Beispiele zu nennen und deutlich zu machen, dass ich nicht hochsensibel knausrig bin: Cappuchino: 5,60 €, Hotdog: 4,80 €, halber Liter Bier (das Billigste im Club): 5 €, Kerze in der Notre-Dame zur Erfüllung eines Wunsches (ich glaub Grablicht sagt man bei uns): 10 €, Hostel-Übernachtung: 28 verdammte Kröten!

An der Tafel vor dem Hostel stand 24 € (für einen Platz in einem 6-Bett-Zimmer) und nachdem ich 30 bezahlt hatte und nur 2 wiederbekam, forderte ich rechtmäßig mein volles Wechselgeld an. In bedingtem Englisch teilte die Rezeptions-Trulla mir mit, dass ich so schon fürs Frühstück mitbezahlen würde. Als ich ihr erklärte, ich wolle ohne Frühstück buchen, erwiderte sie: „I´m sorry, we don´t have this option“. Na toll, zum Frühstück gezwungen. Ich bezweifelte zwar, dass ich diese Option nach der mir bevorstehenden Nacht überhaupt nutzen könne, aber eine andere Möglichkeit war nun mal nicht drin, da alle anderen Hostels in der Umgebung schon voll waren und um halb eins schon dicht machten. Am Samstag, wohlgemerkt.

Paris bei Nacht – let’s Party!

Paris bei Nacht

Nun nicht mehr obdachlos, stürzte ich mit meinen beiden aktiv wohnenden Reisebegleiterinnen ins Pariser Barleben nahe der Pigalle. Nachdem wir am Tag zuvor schon böse auf die Schnauze gefallen waren mit der hier vorherrschenden Clubszene, hatten wir einfach zu große Angst vor einer weiteren Niederlage und gingen in die Bar „Le rendez vous des amis“, die uns eine befreundete Pariserin empfohlen hatte.

Man muss sagen, die Party-Stimmung in dieser Bar war höher als in den Clubs, die wir am Tag zuvor gesehen hatten. Sie trägt den Namen wirklich zurecht, der soviel heißt wie „Treffen mit Freunden“. Nachdem alle Partygesinnten zu ihrem Entsetzen um halb 1 auf die Straße gesetzt wurden, bildeten sich zwei Gruppen: die Gruppe von untereinander unbekannten Leuten, die auf schlechtem Englisch oder Möchte-Gern-Spanisch versuchte, eine andere Party-Lösung aufzutun, aber ungemein scheiterte. Und die andere Gruppe, etwas aggressiver aber entschlossener, die versuchte, die Türen der Bar wieder aufzudrücken, während sich das Personal gemeinschaftlich bemühte, diese zuzusperren. Aber nicht umsonst hatten die Geschäftsführer mehr Leute als nötig eingestellt, die dafür bezahlt wurden, sich während der Arbeitszeit übelst einen hinter die Rübe zu kippen, danach aber umso tatkräftiger zur Sache zu schreiten, wenn es darum ging, die sich im selben Zustand befindende Kundschaft los zu werden.

Dann eben Privat-Party

Nach erfolglosen Streifzügen durch die City, immerzu bereit für die ultimative Party, landeten wir in der winzigen Behausung zweier Pariser, die uns auf ein Bier zu sich einluden. Seltsamerweise war der Platz genug für Unmengen von Ramsch: Musikinstrumente, die keiner von beiden beherrschte, altes, mittlerweile unbrauchbares Kamera-Equipment und vor allem Frauenklamotten, die niemand trug.

Um halb 3 Uhr früh machten wir uns in die strangesten Klamotten gewandet, die sie uns geschenkt hatten, auf den Weg: Jana und Judith, in chinesische Roben geworfen und ich mit einer Pelzmütze aus einem armen kleinen Baby-Fuchs. Ich hatte ja den Verdacht, dass die Kerle die ehemaligen Eigentümerinnen alle grausam ermordet, zerstückelt und in den Tiefen ihrer Ramschberge vergraben hatten, aber – was soll’s – einem geschenkten Gaul…

Die Mode in Paris

Mode in Paris: Frau trägt eine Pelzmütze und eine Pelzjacke Außerdem bin ich mit Pelzmütze in der Pariser Gesellschaft schon ein beachtliches Stück aufgestiegen. Mode ist hier ein Gesetz. Punks oder modischen Querdenkern bin ich hier noch nicht begegnet. Absolut jeder wirft sich hier in Schale. Auf irgendwelche Anlässe ist hier geschissen, denn Chic-sein ist der Normalzustand. Sogar Druffis und Pennern ist ein gewisser gehobener Standard in die Wiege gelegt. Diese erkennt man hier bloß, wenn sie dich sabbernd und nach Billig-Fusel riechend drei Mal nach ner Zigarette anschnorren, wenn du ihnen beim ersten Mal schon keine gegeben hast.

Ich bin hier permanent underdressed und komme mir vor, als würde ich in Lumpen durch die Stadt wandeln. Man mag jetzt denken, es wäre irgendwie unangenehm, unter höchst stilvoll gekleideten Leuten rumzulaufen wie ein asoziales Subjekt der Gesellschaft, aber ich betrachte diese Tatsache als einen wertvollen Schritt zur geistigen Heilung. Als Münchnerin unter Berlinern komme ich mir nur allzu oft overdressed, oberflächlich und eitel vor. Schon fast zu sehr auf Mode bedacht in der Hauptstadt der Freigeister, aber nein – ich weiß jetzt – mit mir ist alles völlig im grünen Bereich.

Abgefahrene, für meinen Geschmack zu übertrieben modische Momente sind solche, wenn man reife, jedoch überaus gepflegte Damen im Pelzmantel durch die Straßen schreiten sieht, eine Miniatur eines Hundes an der Leine, der dem Pelz, den sie trägt, erschreckend ähnlich sieht. Da fragt man sich: Hatte sie mal mehrere solcher Hunde? Immer wenn einer stirbt, wird der Mantel länger? Oder ist in ihrer sündhaft teuren Pariser Dach-Loft-Wohnung auch noch Platz für ein Zuchtlabor für verschiedene Pelzmäntel-Projekte? Wie geht es dem Hund dabei, mit ihr auf der Straße gesehen zu werden? Ist er sich der vielen sorgenvollen Fragen bewusst, die durch den Anblick seiner Begleitung im Pelzmantel aufgeworfen werden? Oder ist er eher stolz, ebenfalls einen so exklusiven Pelz tragen zu dürfen?

Soviel ist sicher: Tierschutz funktioniert in Paris nicht mal ansatzweise

Tierschützer auf dem Weg nach Paris: Kehrt um, für euch gibt es hier nichts zu bewirken. Nimm dem Pariser nicht das, was für ihn oberste Priorität besitzt, denn auf folgende skrupellose und radikale Maßnahmen bist du nicht vorbereitet. Modebetreffende Änderungen zu erzwingen, würde hier skandalöse Ausmaße erreichen. Ich sehe die neueste Herbstmode von angesehenen Designern für nächstes Jahr schon in den Boutiquen der Stadt, hübsch eingefärbt und gemustert in den aktuellen Trendfarben: gehäutete Tierschützer in verschiedensten Variationen; Schals aus Tierschüztern; Borten aus Tierschützern; Handschuhe aus Tierschützern. Diese Häute wären, wie Pelz auch, ein Vermögen wert.

Es existieren durchaus aus dem Pelzwahn resultierende Gesetze. Mir kommt es so vor, als gäbe es die unausgeprochene Regel auf Paris‘ vollgestopften Straßen „Wer keinen Pelz trägt, weicht aus“. Da hier aber so gut wie jeder irgendwo ein Stück Pelz in Form von Bommeln oder Borten am Körper hängen hat, gibt es die erweiternde Regel „Wer die geringere Quadratzentimeter-Zahl an Pelz trägt, weicht aus“.

Mode in Paris: Frau in einem Pelzmantel läuft an anderen Frauen vorbei

via: Giphy

Wenn jedoch zwei Frauen mit bodenlangen Pelzmänteln aufeinander treffen, zählt die Preisklasse: Graufuchs ist teurer als langweiliger europäischer Waldfuchs, Nerz wertvoller als Marder usw. Und wenn auch das zu schwierig wird, zählt „Wie viele Tiere haben jeweils für einen Mantel ins Gras gebissen“.

Aber nett sind sie, die Pariser

So hart und erbarmungslos die Gesetze auf den Straßen von Paris auch sind: Im Allgemeinen trifft man selten einen unfreundlichen Franzosen. Da wird sich auch wirklich auf den Kopf gestellt, um einem Touristen weiterzuhelfen! Sie sind sich trotz ihres vornehmen und modisch bedachten Auftretens nicht zu schade, sich bei einer Wegbeschreibung mit Benutzung sämtlicher Gliedmaßen völlig zum Horst zu machen, wenn sie kein Englisch sprechen; und das tun sie selten. Noch eher behaupten sie, sie sprächen spanisch, auch wenn sie das ebenfalls nicht tun.

Reggae-Boots-Party

Reggae-Party in Paris: Silhouette von Bob MarleyAls wir mithilfe eben solcher netten Pariser doch noch eine Party auf einem Schiff auftrieben, mussten wir feststellen, dass alle Reggae-Partys verblüffend ähnlich ablaufen. Es wird einfach immer Bob Marley gespielt, irgendwer versucht dauernd, dir Shit anzudrehen und als Frau wirst du permanent angequatscht. Nur hatte der DJ wohl selbst nicht so dringend das Bedürfnis nach Bob Marley und so spielte er quasi alle seine Songs für jeweils neun Sekunden an, um mit einem furchtbar schlechten Übergang den nächsten Song des King of Reggae anzuschneiden.

Als keine Lieder mehr übrig waren, die er noch hätte auflegen können, versuchte er seine gesamte Eigen-Kreativität in den wildesten Reggae-Mix zu stecken, den er aber alle zwei Minuten so selten ungeschickt mit aufdringlichem Animations-Gequatsche fernab des Takts unterbrach, dass beim Tanzen ungünstige Knoten in den Füßen entstanden. Dadurch, dass wir fast die einzigen Weißen auf der Party waren, stachen wir auf der Tanzfläche extrem heraus, was zur Folge hatte, dass wir alle drei Minuten angequatscht wurden.

Ich sah den einzigen Ausweg im Alkohol

Als ich um 7 Uhr morgens endlich den Weg zum Hostel gefunden hatte und im Hostel mithilfe des netten Rezeptionisten den Weg in mein Zimmer, schliefen schon alle meiner Raumgenossen. Was sich als sehr ungünstig erwies, war die Tatsache, dass das einzige Bett, das noch frei war, ein Hochbett war. Betrunken ein Hochbett zu erklimmen ist an sich schon eine knifflige Angelegenheit, nur hatte man bei diesem dummerweise auch noch die Leiter weggelassen. Ich hievte meinen schwer kontrollierbaren Körper sämtliche Eisenstangen empor, immer darauf bedacht, den mir unbekannten Untermann nicht mit einem Tritt in die Magengegend zu wecken, bevor ich in einen durch sämtliche Schnarchvariationen gestörten Schlaf fiel.

Um 9 war leider schon die Zeit zum Auschecken gekommen. Was mich in meinem verkaterten und übernächtigten Zustand ein wenig erfreute, war die Erwartung des bereits bezahlten Frühstücks, die bedauerlicherweise schrecklich enttäuscht wurden. Für verdammte 28 Öcken bekam ich anderthalb Stunden Schlaf in schlechter Qualität und ein Frühstück, das aus Cornflakes mit Milch bestand, die ich aus einer Tasse essen musste (weil es keine Schüsseln mehr gab), mit einer Gabel (weil es keine Löffel mehr gab).

Wohin als nächstes?

Nach dieser unbehaglichen Nacht im Hostel überlegten meine Reisegefährtinnen und ich, wie des Nächtens nun weiter zu verfahren sei. Ein Schließfach in meiner Größe am Bahnhof kostet immerhin auch stolze 9,50 € pro Nacht und hätte zur Folge, dass mir am nächsten Morgen jemand aufsperren muss und zwar günstigerweise bevor ich erstickt bin. Ein Aufriss steht immer nur dann an, wenn man ihn nicht erwartet und so sehr wie ich einen One-Night-Stand jetzt brauchen könnte, passiert mir das eh nicht. Zumal ich nicht bereit bin, sämtliche Attraktivitätsansprüche über Bord zu werfen.

Eine andere Option wäre noch: Straftaten begehen und dafür einknasten lassen. Aber hierbei habe ich größte Zweifel, dass ich das Ausmaß der Strafe zuverlässig einschätzen kann. Wie schwer muss die Tat sein, damit ich den Luxus einer Zelle nur für eine Nacht genieße und nicht gleich für den ganzen Urlaub oder darüber hinaus? Im Endeffekt halte ich mich soeben illegalerweise in der Wohnung von Christin auf, die in Wahrheit für acht Personen reichen würde. Auch dieses Ausmaß der Strafe ist nicht einzuschätzen, wenn das Delikt erst mal aufgeflogen ist. Wir wissen nicht, ob sie in der Zeit, in der wir hier sind, vorbeikommt oder nicht. Fliegen wir alle raus, wenn sie uns eines Morgens in flagranti beim Schlafen zu dritt in der Wohnung erwischt? Oder nur ich…

Bilder: flickr ©Luc Merceliswikimediapixabay | pixabay

Über den Autor/die Autorin

c.rancho

1 Kommentar

  • „Und all die guten, guten Geschichten passieren immer auch nur denen die sie erzählen können“. Habe sehr lachen müssen. Danke!

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