Studentenbeiträge

Träume, Tabus und Tabletten

Depression: Mann läuft nachts alleine über einen großen Parkplatz
Geschrieben von Onive

Der alltägliche Gang in die Uni ist kein schwerer. Er steht für all die Träume, die geträumt wurden, für all die schönen Bilder, die du dir ausmaltest, wenn du an ein Studium dachtest. In deiner Jugend träumst du von einer Lebensaufgabe, beschäftigst dich mit einem Thema, das dir zur Herzensangelegenheit wird und nach und nach bilden sich deine Ideale. Das Studium wird das Instrument, vielleicht kein großes, nicht ein wirklich erstrebenswertes, aber dir ein halbwegs wichtiges, um diese Ideale verteidigen, durchdenken, verwerfen und dich mit ihnen neu erfinden zu können.

„Ich habe eine Angststörung – und wie heißt Du?“

Der Gang in die Uni ist immer ein persönlicher, ein individueller. Überhaupt ist das Studium eine ganz und gar persönliche, fast schon intime Geschichte. Gruppenarbeiten, gemeinsames Mensaessen, überfüllte Hörsäle können dich nicht immer befreien und deine Ängste lösen, also bist du jeden Tag aufs Neue mit diesen konfrontiert und versuchst jeden Tag neue Wege zu finden, mit ihnen umzugehen und sie deinem Studium anzupassen. Um das Studium geht es jetzt aber nur auf den ersten Blick:

Inzwischen etabliert sich die Vorstellung, dass an der Uni deine Leidensgenoss/innen ähnliche Kämpfe auszutragen haben, du also nicht allein mit Versagensängsten und Unsicherheiten bist. Weswegen du im Glauben, Freude und Leid mit der dich umgebenden Menschenmasse gemein zu haben, in einen Zustand der Seligkeit verfällst. Dennoch kann das nicht über deinen eigenen Leidensweg hinwegtäuschen, eben weil er dein eigener ist.

Lieber unordentlich als depressiv

Dass psychische „Probleme“ nicht die beste Basis zum Smalltalk sind, kannst du nachvollziehen. Dass sie komplett ausgeblendet, verschwiegen, mit viel Anstrengung umschrieben werden, vielleicht weniger. Und doch tust du es. Denn was nimmst du nicht alles in Kauf, um nicht ehrlich sein zu müssen? „Organisation ist nicht so Ihr Ding“, stellt ein Dozent einmal fest. Dein leicht dümmliches Lächeln möchte ihm zustimmen. „Lieber unorganisiert als depressiv“ denkst du dir. Also lässt du ihn in dem Glauben, indem du erklärst, wie unglaublich viel du im Moment zu tun hast.

Ständige Ausreden und Ausflüchte können dein Umfeld hinhalten und beschwichtigen, blöd wird es, wenn du genervt bist und dein eigenes auswendiggelerntes Gerede selbst kaum noch hören kannst. Schließlich beginnst du, zu glauben, darüber zu stehen und endlich mal ehrlich sein zu dürfen, nur um dann den Ausdruck von „Ach nee, bitte nicht die psychische Erkrankung-Nummer“ im Gesicht des Gegenübers lesen zu müssen. Als ob das und die Schlaflosigkeit, der du mit zweifelhaften Tabletten beizukommen versuchst, nicht reichen, beginnst du selbst, an deinem Zustand zu zweifeln: „Kann ich nicht in das Seminar, weil ich ein Problem habe? Oder ist es draußen einfach zu kalt, um die Wohnung zu verlassen?“ (Es ist aber auch verdammt kalt im Moment!)

Verkanntes Genie oder feiger Oblomow?

Dann vergegenwärtigst du dir das Herzklopfen, das unruhige Auf- und Ablaufen, die Schweißausbrüche, die dich überkommen, wenn du daran denkst, in ein bestimmtes Seminar gehen zu müssen, das dir etwas abverlangt, das du scheinbar nicht zu liefern imstande bist, und schon freundest du dich mit der Idee an, dass du tatsächlich ein Problem hast.

Also konfrontierst du dich selbst mit der lange verdrängten Frage, inwieweit dich das, was du tust, glücklich macht, und ob es nicht eine Alternative gibt, nur um feststellen zu müssen, dass es nicht der Ort, die Themen (für die du brennst), die Situationen sind, die dir Angst machen, sondern die Menschen, von denen du glaubst, dass sie sich rund um die Uhr Gedanken über dich machen, dich verurteilen und belächeln.

Schockiert stellst du fest, dass es diese Menschen sind, die dich um deine Selbstsicherheit beneiden (als du das Wort hörst, bekommst du schon einen Lachanfall) und deinen Humor bewundern. Also von einem Menschen sprechen, den du noch nie kennenlernen durftest. An dieser Stelle fragst du dich, ob du nicht wirklich so einzigartig bist, und ob es nicht schade wäre, die Welt um diese Ausnahmeerscheinung zu bringen – nur um in alte Ängste zu verfallen, die dir letztlich mehr Sicherheit bieten, als es jede Konfrontationsstrategie schaffen könnte – weil sie sich mit deiner Persönlichkeit derart verbunden haben, dass du ohne sie nicht die sein kannst, die du bist, die du immer warst.

Es braucht mehr als Disziplin und Ehrgeiz, um Ziele zu erreichen. Es braucht vor allem Sicherheit und Vertrauen in dich selbst und in die Fremden, die – so hart das auch klingt – Wichtigeres zu tun haben, als über dich nachzudenken.

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Bild: pixabay

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Onive

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