Studentenbeiträge

Perfektionismus? Nein, Danke!

Junger Mann, der über Perfektionismus nachdenkt
Geschrieben von Joey

Wir streben durchgehend nach Leistung, gerade im Studium. Vergleichen uns fortwährend mit anderen, um uns in die Hierarchie des Perfekten einzuordnen. Doch wer oder was steht überhaupt an der Spitze? Wo wollen wir mit unserem Perfektionismus eigentlich hin? Die meisten verlieren diese grundlegenden Fragen oft aus den Augen. Wir wollen makellos sein. In unserer Traumwelt das perfekte Leben leben. Erfolgreich sein und ordentlich Geld verdienen, trotzdem genug Freizeit haben für die Familie und Hobbys. Ein gutes Studium abliefern, am liebsten im Einser-Schnitt-Bereich. Sonst wird das mit dem Master oder Traumjob vielleicht nichts. Doch führt uns ein derartiger Perfektionismus wirklich zu etwas?

Zu viele Möglichkeiten

Wir haben unendlich viele Möglichkeiten. Ob in der Ausbildung, im Beruf, beim Partner, dem Aufenthaltsort oder dem Urlaubsziel. Unser Zeitgeist schreit: „Nichts ist unmöglich“. Das ist an sich erst einmal kein Problem und klingt ja auf der einen Seite auch wirklich nach Fortschritt und etwas Positivem. Aber alles hat bekanntlich seine Kehrseite. Denn wir sind schon fast dazu veranlagt – oder zumindest dahingehend erzogen worden,  dass wir unsere Möglichkeiten am liebsten immer voll auskosten und bestmöglich nutzen wollen. Das führt dann zu völlig überzogenen Erwartungen an uns selbst. Denn wer alles perfekt machen will, wird am Ende nichts wirklich „perfekt“ machen können. Diese Kapazitäten haben wir eigentlich nicht. Wir bilden uns allerdings ein, sie zu haben. Leiden wir also alle an chronischer fast schon narzisstischer Selbstüberschätzung? Eher unwahrscheinlich.

Die Mischung macht’s

Es handelt sich hierbei „lediglich“ um eine ziemlich explosive Mischung. Viele Chancen gepaart mit Optimierungs- oder Leistungsdruck ergeben nun einmal Überforderung. Wir können diesem Anspruch gar nicht gerecht werden, denn das eine schließt das andere aus. Doch was sollen wir tun? Den Leistungsdruck bekommen wir quasi schon in die Wiege gelegt. Eltern trimmen ihre Kinder bereits in der Grundschule darauf, dass sie später unbedingt aufs Gymnasium gehen müssen! Damit auch ja etwas ordentliches aus ihnen wird. Auch wenn sie dazu vielleicht gar nicht geeignet sind oder schlichtweg keine Lust dazu haben, sollen sie sich doch bitte dem gewünschten Ideal beugen und alles Menschenmögliche dafür tun, es zu erreichen. Sonst hat ihr Leben ja auch keinen Sinn, so ganz ohne Selbstoptimierung – wird ihnen damit suggeriert.

Um sich den Stolz und die Anerkennung der Eltern, Freunde, Kollegen, Chefs oder Nachbarn zu ergattern, geht man gern auch mal über seine Grenzen hinaus. Auf dem Gymnasium zum Beispiel, wenn du nicht mitkommst und dich nur überfordert fühlst. Oder auf der Uni, wenn du vor lauter Prüfungen und Hausarbeiten für gar nichts mehr Zeit hast. Oder aber im Job, für den du dich Monate oder Jahre lang so sehr aufopferst, bis du schlussendlich wegen Burnout ausfällst.

Nie zufrieden

Ein gesunder Perfektionismus muss auch gar nicht schädlich sein. Im Gegenteil. Er kann Motivation und Ehrgeiz wecken und die dazu verhelfen, deine Ziele zu erreichen. Doch bei vielen ist er nicht gesund und schon gar nicht gesundheitsfördernd. Nimmt der Perfektionismus ungeahnte Ausmaße an, führt er zwangsläufig dazu, dass du mit nichts mehr zufrieden sein wirst, was du erreichst. Ein weiteres Problem, das der Perfektionismus mit sich bringt ist, dass sich Perfektion nicht definieren lässt. Niemand kann objektiv festlegen, was perfekt ist. Selbst rein subjektiv betrachtet ist dies noch sehr schwer. Außerdem ist es unmöglich, perfekt zu sein. Fehler sind menschlich. Wenn du also auch zur Gattung des Homo sapiens gehörst, wirst du Fehler nicht vermeiden können und bist somit auch nie perfekt.

Du wirst anfangen, dich auf deine Fehler zu konzentrieren statt auf das, was du bereits erreicht hast. Alles was du siehst, sind die Bereiche, in denen du nicht perfekt warst. In denen deine Selbstoptimierung schon wieder fehlgeschlagen ist. In denen du für eine Sekunde deine Disziplin verloren und somit schon wieder alles kaputt gemacht hast. Das liegt daran, dass du einem Gespenst nachjagst. Was sich anfühlt wie das täglich grüßende Murmeltier ist ganz einfach eine sich selbst erfüllende Prognose. Sie zeigt sich in den Momenten, in denen du dir denkst: „Ich war schon wieder nicht perfekt! Ich habe es schon wieder nicht geschafft! Ich wusste es!“ Du wusstest es nur deshalb, weil du unterbewusst weißt, dass es unmöglich ist, perfekt zu sein. Und spätestens das „schon wieder“, das immer wieder zu kehren scheint, sollte dir irgendwann zeigen, dass du dich im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnig verhältst.

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Wahnsinnig perfektionistisch

Der Perfektionismus ist dann „wahnsinnig“, wenn du Folgendes tust:

  • Du bestimmst deinen persönlichen Wert über Leistungen, die du erbringst. Das führt zu andauernder Selbstoptimierung, die bis hin zum Burnout oder zu krankhaften narzisstischen Zügen führen kann.
  • Du denkst nur noch in zwei Kategorien: Perfekt und schlecht. Jeder, du eingeschlossen, der nicht perfekt ist, ist automatisch fehlerhaft und ein Verlierer. Damit legst du den Fokus ausschließlich auf Fehler und gewichtest sie viel zu stark.

Anzeichen für Perfektionismus

Oft ist es schwer zu erkennen und noch schwerer nachzuvollziehen, wenn jemand perfektionistisch handelt und denkt. Doch es gibt deutliche Anzeichen, die für einen eher ungesunden Perfektionismus sprechen. Perfektionisten schlagen sich tagtäglich mit etlichen Problemen herum, die sehr viel Energie und Disziplin verlangt.

Nie genug getan

Als Perfektionist würdest du dich selbst wahrscheinlich als faul bezeichnen, auch wenn du eigentlich sehr fleißig und ehrgeizig im Erreichen deiner Ziele bist. Du hast durchgehend das Gefühl, immer noch nicht genug getan zu haben – ob für die Uni, den Job oder die Beziehungen zu anderen. Häuft sich die Arbeit und du hast nicht genügend Zeit für die einzelnen Aufgaben, kommst du gleich ins Schwanken. Es könnte sich ja etwas verschieben, also außerplanmäßig laufen oder etwas könnte nicht ganz so optimal gemacht werden, wie zuvor geplant – das sind für dich No-Gos!

Workaholics

Perfektionisten lernen, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten, um die von ihnen selbst verlangte Leistung zu erbringen. Auch wenn das bedeutet, häufig Überstunden einzulegen und dabei die Freizeit oder persönlichen Bedürfnisse zu vernachlässigen. Oft werden diese Bedürfnisse ab einem gewissen Zeitpunkt schon gar nicht mehr wahrgenommen oder verdrängt. Die Befriedigung des Perfektionismus und der Anerkennung muss eintreten – um jeden Preis!

Kritik

Willst du immer alles perfekt machen, liegt es nahe, dass du mit Kritik nicht sonderlich gut umgehen kannst. Schließlich weist dir jemand deine Fehler auf, die du ja um jeden Preis vermeiden möchtest. Reibt dir eine Person genau die Fehler unter die Nase, für die du dich selbst schon genug fertig gemacht hast, ist alles vorbei. Außerdem ist es noch dazu eine Art Hohn für dich. Denn jemand anderes soll einen Fehler bei dir entdeckt haben, der dir entgangen ist? Du schaffst es also nicht einmal, im Fehler vermeiden Fehler zu vermeiden! Das fuchst dich natürlich wahnsinnig! Und du bist der Person, die vermeintlich besser ist als du und mit der du dich unterbewusst schon wieder verglichen hast, natürlich auch nicht gerade positiv gesinnt, was zu vermeidbaren Konflikten führen kann.

Ich-Bezogenheit

Als Perfektionist ertappst du dich des öfteren dabei, ziemlich alles auf dich zu beziehen. Schaut dich der Kollege oder Kommilitone schräg an? Das hat bestimmt irgendetwas mit dir zu tun! Du hast bestimmt wieder irgendwas falsch gemacht, das deinem Gegenüber gerade aufgefallen sein muss. Du merkst regelrecht, wie seine Anerkennung für dich just in diesem Moment abnimmt. Du scannst deine Erinnerungen einmal mehr nach Fehlern ab, die dir unterlaufen sein könnten, dir aber nicht aufgefallen sind.

Teamarbeit

Perfektionisten sind nicht die besten Team-Player. Sie gehen automatisch davon aus, dass kein anderer aus dem Team die gleiche ordentliche Arbeitsweise an den Tag legt wie die, die sie sich antrainiert haben. Außerdem schaffen es die anderen sowieso fast nie, deinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn man sich auf wen verlässt, ist man verlassen. Das hast du schon öfter gemerkt. Da nimmst du die Dinge lieber selbst in die Hand, statt sie abzugeben und dann auch noch nachbearbeiten zu müssen. Bist du gezwungen, im Team zu agieren, versuchst du ziemlich schnell, die Führung zu übernehmen. Die anderen sollen deine Ideen dann einfach gleich übernehmen und absegnen. Da sie sowieso die besten sind, spart das Zeit und ist die effizienteste Lösung des Problems – auf deine Weise!

Der Teufelskreis

Kannst du dich mit vielen Indizien identifizieren, befindest du dich möglicherweise bereits im Teufelskreis des Perfektionismus. Dort wieder heraus zu kommen, vor allem, wenn sich jemand freiwillig hinein begeben hat, erweist sich oft als sehr schwierig. Angefeuert wird alles durch den anhaltenden Drang, dir selbst oder irgendjemandem aus deinem Leben etwas beweisen zu müssen. Aber was eigentlich? Das bleibt oft auf der Strecke. Zu sagen bleibt, dass es dir an etwas fehlt, wenn du diese Muster an den Tag legst. Du solltest dir deshalb die folgenden Fragen selbst so ehrlich wie möglich beantworten:

  • Bist du zufrieden mit dir selbst und der Situation, in der du dich gerade befindest?
  • Bist du in der Lage, auf deine Bedürfnisse zu achten, oder vernachlässigst du sie für Dinge, die ausschließlich dazu da sind, dir extern Anerkennung zu geben?
  • Neigst du zu übertriebener Selbstkritik und dazu, dir Fehler vorzuhalten?
  • Kannst du die Kontrolle über dich abgeben und dich entspannen oder stehst du quasi immer unter Strom?
  • Betreibst du übertriebene Selbstoptimierung? Wenn ja: woher kommt dieser Drang, dich ständig zu verbessern?
  • Kannst du dich so akzeptieren, wie du jetzt gerade bist – mit all den Dingen, die du noch lernen musst und all deinen Macken?

Perfektionismus vermeiden

Überblick behalten

Details sind der Feind des vermeintlichen Perfektionisten. Wer sich in Details verliert, hat bereits verloren, denn Fehler werden durch die Liebe zum Detail entlarvt. Schaffst du es allerdings, das Große und Ganze im Blick zu behalten, wirst du nicht allzu leicht von möglichen Niederschlägen aus der Bahn geworfen.

Verständnis

Versuche immer, Verständnis für dich und deine Fehler zu haben. Wenn du zu hart mit dir selbst ins Gericht gehst und dich für jeden kleinen Fehltritt selbst fertig machst, wirst du niemals ein reiches und erfülltes Leben führen können. Zeige ein bisschen Gnade, viel Verständnis und Geduld für dich.

Vergleiche

Dich mit anderen vergleichen wird dir absolut nichts bringen, außer schlechte Gefühle und selbstzerstörerische Gedanken. Jeder Mensch hat seine ganz individuellen Stärken und Schwächen. Niemand kann alles beherrschen und es nicht schlimm, wenn andere manches besser können als du. Du hast deine Fachgebiete, die durch deinen Perfektionismus bestimmt nicht gerade knapp ausfallen. Und die beherrschst du wahrscheinlich richtig. Also erinnere dich daran, wenn du dich dabei ertappst, dich mit anderen zu vergleichen.

Erwartungen und Ansprüche

Versuche, die Erwartungen an dich selbst so gering wie für dich möglich zu halten. Deine Erwartungen und Ansprüche sind auf dem niedrigsten Level, verglichen mit denen von anderen und den angebrachten, wahrscheinlich immer noch enorm hoch einzustufen. Also mach dir keine Sorgen, dass du dann nicht mehr genug von dir erwartest und dann weniger effizient bist.

Fehler einkalkulieren

Du solltest erkannt haben, dass unmöglich ist, keine Fehler zu machen. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf kannst du damit anfangen, bewusst mit Fehlern zu rechnen. Das soll nicht bedeuten, hinter jeder Ecke einen Fehler zu erwarten und somit den Fokus wieder gänzlich auf vermeintliche Misserfolge zu legen. Versuche sie, so gut es geht, als dornige Chance zu sehen, um daraus zu lernen. Denn das funktioniert bei Fehlern oft besser als bei Erfolgen.

Kritik

Kritik bedeutet weder, dass du nicht perfekt bist, noch dass derjenige, der dich kritisiert, jetzt eine schlechtere Meinung von dir hat oder dich nicht mehr mag. Wenn du dich in die andere Person hinein versetzt, wird dir wahrscheinlich schnell klar, dass die Kritik konstruktiver Art war. Du kritisierst andere bestimmt auch einmal und weißt daher, dass dahinter keine böse Absicht steht.

Hilfe

Perfektionisten fällt es oft schwer, Hilfe anzunehmen. Noch viel schwieriger ist es allerdings für sie, andere nach Hilfe zu bitten. Das würde ja bedeuten, sich und anderen die eigene Schwäche einzugestehen. Das ist unmöglich im Schwarz-Weiß-Denken eines Perfektionisten. Denn das würde automatisch das eigene Versagen beweisen. Außerdem steht die Angst im Weg, dass es sowieso niemand so ordentlich machen würde wie man selbst.

Just do it!

Bevor du Zeit dazu hast, etwas von vorne rein kaputt zu denken, mach es einfach! Die Angst davor, Fehler zu machen, hält dich von vielem ab – auch wenn du das oft erst einmal nicht bewusst mitbekommst. Dir wird auffallen, dass du lockerer wirst, wenn du mehr (Fehler) machst. Stelle dich deinen Ängsten und lass dich nicht von ihnen lähmen.

Analysieren

Nicht jede Situation erfordert eine ausgiebige Analyse der Geschehnisse. Das wird nur dazu führen, dass du dich in irgendetwas herein steigerst, was eigentlich nicht einmal deiner Aufmerksamkeit bedarf. Es kann auch sein, dass du das Analysieren als Grundlage zur Prokrastination nutzt. Denke daran: Nicht tot-analysieren, sondern machen!

Perfektionismus mit der richtigen Motivation

Das alles soll keinesfalls bedeuten, dass es in irgendeiner Weise verkehrt oder verwerflich wäre, an sich selbst zu arbeiten. Doch die Motivation, aus der heraus du das tust, ist entscheidend. Bist du ständig dabei, dich mit anderen zu vergleichen und passt daher deine Ansprüche an dich selbst entsprechend für dich übertrieben hoch an, ist das eher schädlich. Oder handelst du aus dem Druck heraus, den dir andere Personen wie deine Eltern oder dein Vorgesetzter machen? Auch das wird dir auf lange Sicht wahrscheinlich schaden.

Möchtest du allerdings an dir und deinen Aufgaben wachsen, um für dich selbst – und sonst niemanden – ein besserer Mensch zu werden, ist daran absolut nichts auszusetzen. Du solltest dabei allerdings immer bedenken, dass die Relation sich ändert, sobald du das alles für dich machst. Dann wird es gänzlich unmöglich, irgendwelche dritten Parteien einzubeziehen. Denn die Vergleichsgröße bist du allein und alles, was du bisher erreicht hast und bist. Die Voraussetzung ist eine Grund-Akzeptanz und -Annahme deiner selbst. Du solltest dich nicht fertig machen, wenn dir einmal ein Fehler unterläuft. Du solltest ihn lediglich als das nehmen, was er ist: eine weitere Lektion auf dem Weg, den du für dich gewählt hast. Nutze deine Fehler, indem du aus ihnen lernst, statt sie zu verdammen. Und vor allem: habe Geduld mit dir selbst und sei nachsichtig.

Über den Autor/die Autorin

Joey

Das Leben ist kein Wunschponyschlecken. :)

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