Studentenbeiträge

Beziehung – Ich liebe dich, aber bitte fass mich nicht an

Beziehung - auf dem Boden liegendes Pärchen
Geschrieben von Bienchen

Beziehung.

Weißt du noch dein erstes Mal?

Versetz dich zurück in dein 16-jähriges Ich und welche Gefühle es gegenüber Intimität und Sex empfand. Aufregung, Unsicherheit, Begierde und vielleicht ein bisschen Angst?

Als ich mich das erste Mal verliebte war ich gerade 16, fand Jungs vorher immer blöd und war mehr als schockiert, als ein Vertreter dieser Spezies Interesse an mir zeigte. Tatsächlich fand auch ich ihn gutaussehend und fühlte mich von ihm angezogen. Wir trafen uns einige Male und irgendwie entwickelte sich irgendwas wie Gefühle, hatte ich das Gefühl. Mein jüngeres Ich dachte in diesem Moment noch nicht daran, welche Probleme diese Gefühle und eine daraus entstehende Beziehung mit sich bringen würden. Mein Herz raste und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten, wenn ich nur daran dachte, ihn zu küssen. Als er mich schließlich küsste, viel zu früh für mein Empfinden, völlig unerwartet und ohne Vorwarnung, war ich nicht nur überfordert, sondern fand es auch irgendwie eklig und nass. Ich dache mir, dass der erste Kuss vielleicht eine ähnlich zwiespältige Erfahrung sei wie das erste Mal Sex und gab mich damit zufrieden. Ich gewöhnte mich an die Küsserei, entwickelte Gefallen an Streicheleinheiten und war inzwischen emotional mehr als nur involviert. Ich hatte ihm mein ganzes Repertoire an Gefühlen zur Verfügung gestellt und meine Laune, auch mein körperliches Empfinden war von seiner Aufmerksamkeit, von seinem Verhalten mir gegenüber, abhängig. Ich war ihm hilflos verfallen und ahnte nicht wozu mich das noch führen würde.

„Das ist das normalste der Welt“

Ich hatte schon immer ein eher kühles Verhältnis zu meinem Körper und ein sehr distanziertes Verhältnis zu körperlicher Nähe. Bei mir Zuhause wurde nicht viel gekuschelt und über Intimität zu reden war keine Option. Vor allem für mich nicht, denn seit ich mit zehn meine Eltern beim Geschlechtsverkehr gehört hatte, wurde mir schon schlecht, wenn ich ein Stöhnen vernahm, wenn ich daran dachte nachts auf die Toilette zu gehen und möglicherweise wieder etwas mitzubekommen und vor allem wenn ich daran dachte, dass ich so etwas selbst mal tun „müsste“. Immer wieder wurde mir gesagt Sex sei die schönste Sache der Welt und ich bräuchte keine Angst davor zu haben, denn alle würden es tun und es gehörte zu einer Beziehung dazu.

Mein damaliger Freund und ich waren inzwischen schon fast ein Jahr zusammen. Er hatte mich bis dato noch nie vollkommen nackt gesehen und für mich war das völlig legitim. Ich war einfach noch nicht soweit. Irgendwann bekam ich mit, wie sie in der Schule Witze über ihn machten, weil er schon so lange mit mir zusammen sei, aber es nicht schaffte mich „flachzulegen“. Das war auf mehreren Ebenen verletzend und demütigend, nicht nur für mich, sondern, so schien es, besonders für ihn.

Bei mir keimte so langsam der Gedanke auf, dass ich das ja mal ausprobieren könnte. Ihm zu liebe. Wenn es das normalste und schönste der Welt sei, so würde ich es schon mögen. Ich überredete mich also dazu, ihm diesen Gefallen zu tun und den nächsten Schritt zu wagen. Er fragte mich, ob ich das wirklich wollen würde, selbstverständlich stimmte ich zu, aber innerlich verkrampfte sich alles und ich fühlte mich einfach nur schrecklich. Mein Körper war nicht bereit gewesen. So überraschte es nicht, dass sich, ja ich nenne es jetzt absichtlich Prozedur, diese Prozedur für mich absolut furchtbar und erniedrigend anfühlte. Ich wollte es nie wieder tun. Tat ich aber doch. Immer und immer wieder in der Hoffnung, ich würde mich wie zuvor beim Küssen daran gewöhnen.

Trennung wegen Hindernissen?

Sein Gesicht voller Enttäuschung und Trauer als ich ihm erzählte, dass unsere Intimität für mich nicht schön, nicht angenehm sei, werde ich wohl niemals vergessen. Selbstverständlich wollte er nie, dass es mir dabei schlecht ging, denn er liebte mich, aber Sex, körperliche Befriedigung, ja das wollte er dennoch. Ich musste mir immer wieder anhören, egal mit wem ich darüber sprach, egal bei wem ich mir Hilfe erhoffte, dass das nun mal zu einer Beziehung dazugehörte und ich mich nur darauf einlassen müsste. Inzwischen fühlte ich mich dreckig, schuldig und sah wie er litt. Ich hatte das Gefühl die schlechteste Freundin der Welt zu sein. Ich hoffte, dass ich eines Tages auch Lust auf ihn und Lust auf Sex hatte. Ich hoffte, dass gemeinsamen darüber reden, gemeinsames Kuscheln und gemeinsames entdecken unserer Körper mich irgendwann in einen entspannten Zustand entlassen würde, in dem ich ein Verlangen verspürte. Dies blieb mir jedoch verwehrt. Ich fühlte mich furchtbar, denn ich sah seine Blicke, ich spürte seine körperlichen Reaktionen, wenn er mich berührte oder wir uns küssten und ich spürte wie sehr er sich quälen musste, dies nicht ausleben zu können. Ich dachte mehrmals darüber nach mich von ihm zu trennen und uns beide von diesem Leid zu befreien, aber ich konnte es nicht, denn ich war emotional zu sehr involviert. Ich war emotional von ihm abhängig und ich liebte ihn (zumindest dachte ich das damals) zu sehr.

Beziehung und Kommunikation

Wir waren nunmehr schon zwei Jahre zusammen, aber an den Gedanken mit ihm zu schlafen konnte ich mich nach wie vor nicht gewöhnen. Er konnte sich, verständlicherweise, nicht an die Tatsache gewöhnen, eine Freundin zu haben mit der er nicht schlafen konnte. Unsere Zusammenkünfte wurden distanzierter und seine Berührungen wurden übergriffiger.

Eines Nachts, er war angetrunken und übernächtigt, sagte er mir, dass er sich dafür schämen würde, dass wir nicht miteinander schliefen und weshalb er dann überhaupt in einer Beziehung sei. Er drückte mich gegen die Wand und stemmte sein gesamtes Gewicht gegen meines. Ich bekam keine Luft mehr und hatte Panik. Ich versuchte, ihn weg zu drücken, aber meine 45 Kilo hatten gegen seine 80 Kilo keine Chance. Er versuchte mich zu küssen, mich zu streicheln. Zunächst wehrte ich mich und gab Laute des Widerwillens von mir, die er aber falsch zu interpretieren schien, denn er fing an sich an mir zu reiben. Mir wurde schlecht, ich fühlte mich wehrlos und schuldig. Ich fühlte mich wie der abartigste Mensch auf dem Planeten und gab mir die Schuld für diese Situation, schließlich, so hatte er mir schon häufiger gesagt, war ich selbst Schuld daran, dass er mit mir schlafen wollte, weil ich so aussah wie ich aussah. Ich verfiel in eine Art Trancezustand und versuchte alles um mich herum auszublenden, die Geräusche die er von sich gab, seine Berührungen, die Schmerzen, die er mir zufügte wenn er mich gegen die Wand drückte und ich hoffte, dass er irgendwie noch merken würde, dass ich das hier absolut nicht will. Ich nahm die Verantwortung für diese Situation auf mich, schließlich war ich die abartige in dieser Beziehung, auf dieser Welt. Scheinbar die einzige, die nicht mir ihrem Freund schlafen wollte. Für mich war es nur logisch, dass er irgendwann so überreagieren musste, also nahm ich die Situation hin. Ich spielte mit. Gab irgendwann Geräusche der Wohltat von mir, in dem Wissen er würde davon angeheizt und in der Hoffnung es wäre deshalb schneller vorbei. Im befriedigten Zustand schlief er innerhalb von Sekunden ein, ohne ein Wort, ohne einen Blick darauf, wie ich mich fühlte. Und als er am nächsten Morgen aufwachte konnte er sich an all das nicht mehr erinnern.

Ein Nein hätte nichts genützt

Von nun an waren die Rollen in unserer Beziehung klarer verteilt als zuvor. Ich lies ihn einfach machen, denn ich hatte Angst mich zu wehren, ich hatte Angst Nein zu sagen, ich hatte trotzdem Angst ihn zu verlieren. Immer wieder suchte mich sein enttäuschter Blick vom Anfang heim und immer wieder sah ich, wie er mich währenddessen ansah. Er blickte mich an wie ein seelenloses Tier. Aus toten, nichtssagenden Augen, nur fixiert auf körperliche Befriedigung und ich war mir sicher, dass ein Nein daran nichts ändern würde, dass ein Nein die Situation nur verschlimmern würde. Wo ich vorher das Küssen und Kuscheln noch genossen hatte, war nun stetige Angst vorhanden, denn ich wusste, dass das eine unweigerlich zum anderen führen würde und so wurde jede Berührung von ihm irgendwann so schmerzhaft wie eine Klinge. Ich liebte ihn, aber konnte es nicht ertragen, wenn er mich anfasste. Ich liebte ihn und deshalb gab ich mir die Schuld an all dem, dass es soweit gekommen war und hatte das Gefühl, dass ich als seine Freundin da nun eben durch musste. Ich liebte ihn und konnte deshalb nicht für mich einstehen, nicht erkennen was diese Beziehung aus mir machte. Ich konnte nicht erkennen, dass ich mich für ihn prostituierte, indem ich seine Liebe und Aufmerksamkeit als Zahlungsmittel annahm. Ich liebte ihn und konnte mich erst aus dieser Abhängigkeit befreien als ich lernte mich selbst zu lieben.

Post Scriptum

Damals war ich mir sicher, dass ich nie wieder Jemanden finden würde, der mich liebt, dem ich vertrauen könnte und den ich an mich ran lassen würde. Ich dachte lange Zeit, ich besäße kein sexuelles Empfinden und könnte mich deshalb nicht öffnen. Aber nun, drei Jahre später, bin ich mit einem großartigen Mann zusammen. Er weiß von meiner Vergangenheit und gibt mir immer das Gefühl bei ihm sicher zu sein. Ich bin mit einem Mann zusammen, bei dem es sich tatsächlich um Liebe handelt, nicht um emotionale Abhängigkeit, einem Menschen, von dem ich nicht genug bekommen kann und mit dem Intimität das schönste auf der Welt ist. Heute weiß ich, dass ich damals einfach noch nicht bereit war und dass das völlig ok ist.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich einen derartigen Text schreiben sollte. Es war nicht Ziel der Sache hier jemanden als Übeltäter oder Schuldigen hinzustellen, hier jemanden zu entblößen oder vorzuführen. Als ich jedoch gestern von meiner Freundin erfuhr, dass sie Opfer sexueller Nötigung wurde und sich nun selbst die Schuld dafür gibt, denn sie hätte ja „Nein“ sagen können, packten mich die Erinnerungen und ich entschied mich dafür, ein Bewusstsein schaffen zu wollen. Aufzuzeigen, dass selbst in einer Beziehung, vielleicht sogar gerade dort, „Nein“ zu sagen absolut nicht einfach ist. Es gibt in der Intimität für beide Parteien verwirrende, überfordernde oder sogar verstörende Situationen und gerade Frauen tun sich dann schwer, diese Situation zu unterbrechen in der Angst, der Mann könnte wütend und übergriffig werden. Dies soll kein Aufruf zur Hetzjagd auf Männer sein, denn auch als Mann hat man es nicht immer einfach die Signale einer Frau richtig zu deuten. Aber ich finde man sollte sich ins Bewusstsein rufen, dass solche Situationen auf beiden Seiten immer wieder auftreten können, auch wenn sie es nicht sollten, denn manche sind in ihrer körperlichen Entwicklung einfach weiter als andere, von sexuellen Vorlieben erst gar nicht angefangen. Der Schlüssel, um solche fatalen Situationen zu vermeiden ist Kommunikation, auch wenn sie in diesem Moment wohl am schwersten fällt.

Quelle: Giphy

Über den Autor/die Autorin

Bienchen

Eine Seele mit Hirn auf der Suche nach dem großen Ganzen und dem Sinn hinter scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten.

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