Ein Geheimnis kommt ans Licht – nun aber wirklich

Mit Gras bewachsener Weg aus Steinen führt in einen Wald - Geheimnis kommt ans Licht.
Geschrieben von Bienchen

…er stockte und wartete darauf, dass sie sich umdrehen möge. Sie blieb wie versteinert stehen. Wut? Erleichterung?

Nichts! Erneut regte sich in ihr nichts. Wie sollte sie nun darauf reagieren? Woher sollte sie wissen, dass nun nicht wieder irgendwelche Ausreden kamen? Über ihre Schulter blickend sagte sie ruhig: „Meine Bahn kommt, ich muss mich beeilen!“.
„Aber,“ Finn wirkte nun verzweifelt. Sie sah ihn an, wartend. „Mila, bitte komm noch mal rein. Ich möchte nicht, dass du dir Sorgen um mich machst“. Die linke Augenbraue hochgezogen und die Stirn in Falten gelegt, nickte sie ihm zu und ging ihm einen Schritt entgegen, demonstrierend er solle ihr Platz machen, so dass sie die Wohnung betreten könne. Er verstand und wich zurück.

Nun standen sie in derselben Konstellation, schweigend, wie eben, im schmalen Flur seiner Wohnung. Erneut wartete sie. Sie spürte, wie ihr langsam die Geduld ausging, vor allem aber ihre Kräfte zu schwinden drohten. Ihr war leicht schwindelig, auch ihre Thermoregulation war nicht mehr ganz intakt, denn sie schwitzte und fror nun gleichzeitig, aber ein weiteres Gespräch würde sie nun auch noch überstehen. Finn sah durch den Flur ins Wohnzimmer zu seinem Vater und sagte mit dem Rücken zu Mila gedreht: „Wir können uns ja kurz ins Schlafzimmer setzen.“ Er ging gebückt voran, Mila folgte ihm kommentarlos. Sie öffnete ihre Jacke und setzte sich auf sein Bett in gesundem Sicherheitsabstand neben ihn, so, dass er sie nicht berühren konnte, wenn er dies vorgehabt hätte.

Schweigen

Er schien mit sich selbst zu kämpfen. Seine Finger zappelten nervös auf seinem Bein herum und sein Fuß wippte in Lichtgeschwindigkeit auf und ab. Mila holte hörbar genervt Luft. Finn verstand und rang sich durch: „Mila, der wahre Grund…“, stotterte er aufgeregt. Dies war eindeutig nicht vorher einstudiert gewesen. „… der wahre Grund ist, dass mich deine Liebe unfassbar unter Druck setzt.“ Nur kurz entglitt ihr ihre Mimik.
Er fuhr fort: „Ich meine, sieh dich doch mal an. Merkst du denn nicht wie beängstigend das alles ist? Siehst du denn nicht, wie krass mich das an mir zweifeln lässt?“ Mila rümpfte erneut die Nase.

„Ich sage dir, dass ich dich nicht mehr liebe, dass es eine andere Frau gibt und dass du mich unglücklich machst und wie reagierst du? Du bist nett! Du machst dir Sorgen um mich! Du verstehst, dass irgendetwas nicht stimmt und gehst auf mich ein, hast für jeden Grund Schluss zu machen mindestens zwei gute Gründe es nicht zu tun. Du scheinst nicht zu verstehen, dass mich das wahnsinnig macht.“

Sie lächelte. Er war irritiert. In seine Augen war Leben zurückgekehrt und sie blickten sie an wie sie es immer taten, direkt in ihre Seele.
„Schau, schon wieder!“, empörte er sich. „Wieso bist du nicht mal wütend oder zickig oder klatscht mir eine. Ich hätte es nach allem was ich dir angetan habe mehr als verdient. Ich habe dir gerade zwei Stunden lang dauerhaft gesagt was falsch an dir ist, ich habe deine letzte Bitte deine Kleidung nicht zu berühren absichtlich missachtet, ich habe dich gerade zur Tür rausgedrängt und ich habe dich behandelt als wärst du und alles was wir zusammen hatten Müll.“

Sie nickte ernst. Trotzdem sagte sie nichts.

Was sollte sie auch sagen?

Plötzlich sprang sie ohne Vorwarnung auf und hustete. „Warte kurz“, hauchte sie in einem gehetzten stumpfen Ton und rannte aus dem Zimmer hinaus, mehr oder weniger durch die verschlossene Tür ins Badezimmer. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es sich vor der Toilette niederzuknien. Gott sei Dank hatte sie einen leeren Magen und würgte ausschließlich Magensäure hoch. Nun schossen auch ihr die Tränen empor und liefen heiß über ihre ausgekühlten Wangen. Sie lehnte sich, nachdem sie vom Boden aus die Spülung betätigt hatte, erschöpft und kalt-schweißig an die Badewanne. Sie wollte einfach nur noch ihre Ruhe.

Finn lugte vorsichtig um die Ecke. Als er sah wie sie dort zittrig kauerte, begann er zu weinen. Er verschwand und kam kurz darauf mit einem Glas Wasser und seiner dicken Bettdecke zurück. Er betrat das Badezimmer, schloss die Tür hinter sich, reichte ihr das Glas und kauerte sich neben sie auf den Boden. Die Decke legte er über sie beide und mit seiner rechten Hand fühlte er ihre Stirn. „Du hast glaube ich Fieber“, sagte er in einem ernsthaft besorgten Ton. Mila schüttelte mit dem Kopf. Sie wusste, das war nur der Stress und der Kreislauf. Sie sah ihn nicht an, starrte einfach in die Ferne an die gegenüberliegende Wand. Das war alles nur ein furchtbarer Albtraum redete sie sich ein. Vielleicht stand sie doch unter Schock.

Finn setzte erneut zu einer Erklärung an, langsam und in flüsterndem Ton:
„Siehst du, ich mache dich kaputt! Schau doch was ich dir angetan habe. Du bist nur noch ein Schatten deiner Selbst.“ Mila hörte ihm nicht weiter zu. Für sie war er nur noch eine dumpfe Stimme irgendwo weit weg.
„Ich weiß nicht, ob du dir vorstellen kannst wie es ist mit dir zusammen zu sein. Wie es ist von dir geliebt zu werden. Ich kenne keinen Menschen auf der ganzen Welt, der ein so großes Herz hat wie du, der so rein und mit allem liebt was er zu geben hat.“ Finn nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es auf den Boden vor sich.
„Ich spüre wie du jeden Morgen aufstehst und jeden Tag erneut den Kampf aufnimmst. Gegen deine Krankheit und gegen deine inneren Dämonen. Du kämpfst dich jeden Tag ins Leben zurück und trotzdem verwendest du alle Energie, die dir noch bleibt, darauf mir zu zeigen wie sehr du mich liebst.“ Nun starrte auch er an die Wand.

„Wie soll ich dir das jemals zurückgeben?“ Seine Stimme zitterte und versank wie vorhin in seinen Tränen. „Ich schaffe es nicht dir auf dieselbe Art zu zeigen wie wichtig du mir bist. Ich bin nicht gut genug für dich.“ Finn beugte sich über sie, um an das Toilettenpapier zu gelangen, riss sich drei Blatt ab und schnäuzte seine Nase. Mila rümpfte angeekelt die ihre.
„Schau dich an! Selbst wenn du völlig fertig bist, siehst du wunderschön aus.“ Er sah sie an. „Ich finde dich perfekt. Du bist perfekt!“ Ein Lächeln zierte sein Gesicht. Es verschwand und Trauer breitete sich erneut aus.

Zu viel, einfach nur zu viel

„Jedes Mal, wenn ich dir sagte, dass ich dich liebe, war das von ganzem Herzen so gemeint. Ich habe noch nie einen Menschen so geliebt wie dich. Ich habe mir so oft unsere gemeinsame Zukunft vorgestellt, dass ich mich immer wieder daran erinnern musste im hier und jetzt zu bleiben. Mir hat das alles so Angst gemacht.“
Er schnäuzte abermals. „Ich sehe wie sehr du dich bemühst, wie viel Zeit und Emotionen du in mich und uns investierst und wie ich mich selbst unter Druck setzte dir genauso viel Zeit und Emotionen zurück zu geben. Das kann ich aber nicht. Nicht weil ich es nicht wollte. Ich arbeite 45 h in der Woche, dann muss ich das hier mit der Wohnung hinbekommen. Alles ist neu und ich muss mich erst zurechtfinden. Ja du wolltest mir helfen und ich weiß, du hättest es gerne getan, aber ich hatte dauerhaft nur das Gefühl, dass mein Schuldenkonto bei dir wächst. Ich habe mir ständig Druck gemacht dir zu schreiben, auf der Arbeit, abends, immer. Ich wollte für dich da sein, dir zeigen, dass du immer auf mich zählen kannst, obwohl du es nie von mir verlangt hast, aber das hat mich extrem eingeengt. Ich hatte am Ende nur noch das Gefühl zu ersticken. Ich habe am Ende in meinem eigenen Leben keinen Platz mehr für mich gefunden, weil ich dir Platz einräumen wollte.“

Finn sah Mila an, er wartete offenbar auf eine Reaktion, eine Antwort. Sie starrte weiterhin mit neutralem Gesichtsausdruck und leerem Blick an die Wand.

„Ich weiß, ich hätte mit dir darüber reden können, wir hätten eine Lösung finden können, aber ich habe gemerkt wie du immer unsicherer wurdest. Wie jede meiner Lügen, wie jedes Mal, wenn ich ohne Begründung etwas Dummes machte, dafür sorgte, dass du an dir selbst gezweifelt hast. Aus deiner Unsicherheit resultierte meine und umgekehrt. Was passierte war, dass du das Gefühl hattest noch mehr zu geben, mir noch mehr zeigen zu müssen wie toll ich bin und wie sehr du mich liebst. Das hat mich ganz verrückt gemacht. Ich hatte Angst dich zu verletzten, wenn ich dir sagte, dass es zu viel ist. Welches Recht hatte ich auch dazu? Wir haben uns einmal in der Woche gesehen und ansonsten nur oberflächlich ein wenig geschrieben. Ich hätte dir nicht noch weniger bieten können und ich weiß, mir zuliebe hättest du dich mit noch weniger zufrieden gegeben.“ Verlegen sah er auf den Boden.

Ein lautes Bohren drang unvermittelt stumpf durch die Wand und sorgte dafür, dass Mila erschrocken zusammenfuhr. Nun sah sie ihn an. Ihre braunen Augen wirkten müde und kraftlos, sie wirkten gebrochen. Nur noch ein letzter kleiner Funken ihres Strahlens war geblieben. „Nur mein Vater“, sagte Finn. Das wusste sie. Sie schüttelte ihren Kopf mit verzogenem Gesicht. Sie wollte nichts mehr von all dem hier hören. Wie oft wollte er ihren Namen eigentlich noch sagen? Ihr Name schallte ihr inzwischen schmerzhaft in den Ohren wider. War das so eine Art psychologisches Experiment über Namensnennung emotionale Nähe aufzubauen?

„Mila,“, er suchte unter der Decke nach ihrer Hand. Sie zog sie erschrocken weg.

„Mila, egal was ich gemacht habe, egal wie schlecht ich dich behandelt habe, du warst immer für mich da. Du hast mir zugehört, du hast mich getröstet, mir Mut gespendet und alles was du von mir im Gegenzug verlangt hast war Liebe und Ehrlichkeit.“ Sie nickte nur schwach merklich.

„Immer wieder haben wir uns gestritten, immer wieder warst du kurz davor mit mir Schluss zu machen, zu Recht, weil ich dich verletzt hatte, und immer wieder hast du mir verziehen, mir noch eine Chance gegeben, nachdem du mein Verhalten verstanden hattest. Deine Begründung war, dass jeder Fehler macht, niemand perfekt ist und du das Gefühl hast, dass es sich lohnen würde.“ Er hustete. „Du hast mir immer wieder klar gemacht wie bedingungslos und loyal deine Liebe mir gegenüber ist und ich fragte mich ‚Wieso ist sie sich so sicher?‘.“ ich wusste du bist dir hundertprozentig sicher in mir den Richtigen gefunden zu haben und je bewusster mir deine Einstellung dazu wurde, desto eingeengter fühlte ich mich, weil ich mich noch mehr beweisen wollte, dich noch mehr lieben wollte und ich habe dich jeden Tag mehr und mehr geliebt, aber ich wurde immer unsicherer, ob ich der Richtige für dich bin, ob ich gut genug für dich bin und daraus wurde irgendwann das Gefühl, dass du nicht die Richtige für mich sein kannst. Bis ich mir schließlich nicht mehr sicher war, ob ich dich überhaupt noch liebe.“

Auch der letzte Funke stirbt

Eindringlich sah er in ihre leeren Augen, in denen gerade auch der letzte Funke Hoffnung einen qualvollen Erstickungstod starb, als aus ihnen Tränen herausquollen. Sie nickte. „Ich verstehe“, sagte sie leise. „Schau doch. Wir haben uns in den letzten zwei Wochen so häufig gestritten. Worüber? Dir ging es schlecht, du hast gemerkt, dass etwas nicht stimmt und hast direkt gedacht du hättest etwas falsch gemacht. Deine Depressionen wurden schlimmer, deine Darmkrankheit wurde schlimmer und alles, was du von mir verlangt hast war, dass ich für dich da bin. Erneut kann ich nur sagen, zurecht! Ich konnte und wollte es nicht. Ich konnte mir nicht ansehen wie du dich quälst, nach Gründen und Lösungen suchst, zu zerbrechen drohst, in dem Wissen, dass ich der Grund dafür bin. Du hast es mir vorgeworfen nicht für dich da zu sein, berechtigt, und trotzdem hast du gleichzeitig nach Entschuldigungen für mein Verhalten gesucht, weil du einfach nur wolltest, dass es mir gut geht.“ Eine lange Pause füllte das Badezimmer mit Stille und Leere, mit dem Flackern zweier kämpfender Herzen.

„Ich merkte wie du wieder stärker und stabiler wurdest, wie du nach und nach zu dir zurückgefunden hast, wie dir immer mehr klar wurde, dass du nichts falsch gemacht hast, dass du großartig bist und wie du das letzte bisschen Hoffnung und Kraft zusammengesucht hast mit der Bitte, dass wir endlich mal wieder ehrlich miteinander reden könnten. Du hättest mir so viel zu sagen, du hättest dir über so vieles Gedanken gemacht. Und ich wusste in diesem Moment, dass ich das nicht mehr will. Weder für mich, noch für dich. Ich kann dich nicht glücklich machen und das macht mich unglücklich. Ich bin nicht der Richtige für dich, nicht in dieser Situation.“ Er schluckte.

„Ich habe lange gebraucht, um mir das einzugestehen und ich habe mir lange eingeredet, dass es das Richtige ist Schluss zu machen. Stundenlang mit Lisa telefoniert, mir alle möglichen Gründe überlegt, durchdacht, zurechtgelegt, doch ich wusste der einzige Grund dich davon abzuhalten zu kämpfen ist, wenn ich dir sage, dass ich dich nicht mehr liebe.“ Er hustete erneut und wischte sich die Tränen weg, die inzwischen in Bächen aus seinen Augen flossen.

Mila standen unterdessen Schweißperlen auf der Stirn. Ihre Haut wirkte fahl und grau. Fast hysterisch fuhr Finn fort: „Ich weiß nicht mehr was richtig und falsch ist, ich bin überfordert, ich bin psychisch am Limit und eigentlich ist mir auch gerade in dieser Sekunde alles egal… vielleicht. Vielleicht habe ich mir solange eingeredet dich nicht mehr zu lieben, bis ich selbst nicht mehr wusste, ob es nun stimmt oder nicht.“

Mila schwieg immer noch. In ihrem Kopf drehte sich alles, in ihrem Magen ebenso. Sie wollte gerade Luft holen, um etwas zu sagen, als ihr Magen erneut die Geduld verlor und sie sich über der Toilettenschüssel lehnend wiederfand. Sie wischte sich den Mund ab, drehte sich zu Finn, sah ihn von unten mit ihren großen Bambi-Augen an und sagte in einem Ton voller tief empfunden Schmerz: „Es tut mir leid“.

Nicht mal eine Sekunde später verdrehte sie ihre Augen und glitt ohnmächtig zu Boden.

https://studiblog.net/2019/06/20/beziehung-anfassen-liebe/

https://studiblog.net/2017/06/08/leere-sex-liebe/

Über den Autor/die Autorin

Bienchen

Eine Seele mit Hirn auf der Suche nach dem großen Ganzen und dem Sinn hinter scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten.

Einen Kommentar abgeben

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.