Studentenleben

Liebe?! Nein danke, ist mir zu biochemisch!

Biochemie und Liebe - man ist den Reaktionen ausgeliefert
Geschrieben von Bienchen

Liebe?! Nein danke, ist alles nur Biochemie

Bin ich (W, 21, Biostudentin) um 5:20 aufgestanden, weil ich um 8 in der Uni sein musste? Vielleicht?
Hatte ich dezent schlechte Laune als ich um 8 Uhr rausfand, dass die Veranstaltung erst um 9 anfängt? Vermutlich.
Habe ich mich an diesem Morgen ordentlich in einen Mitstudenten verguckt? Auf jeden Fall!!!

Vor Beginn eines jeden Praktikums muss eine Sicherheitseinweisung über Risiken und Verhaltensweisen im Labor erfolgen. Für Studenten im 8ten Semester ist das eine unspannende Wiederholung von schon tausendmal gehörten Fakten wie ” Im Labor darf nicht geschnupft oder mit dem Mund pipettiert werden”.
Sinnvoller wäre eine Sicherheitseinweisung zum Thema Liebe gewesen: Das Hormonsystem – Liebe und ihre Auswirkungen auf das menschliche Hirn – eine Einführung.

Denn selbst der rational denkenste Mensch wird dann urplötzlich zu einem hormongesteuerten Zombie mit dem IQ einer Frucht der Nachtschattengewächse. Aber seht selbst…

Alles nur Biochemie – Pheromone sind sexy:

An bereits erwähntem Morgen betrat ich den Raum, in dem die Sicherheitseinweisung für das Biochemie-Praktikum stattfinden sollte, übermüdet, demotiviert und völlig genervt. Ich sah mich um und sah fast ausschließlich fremde Gesichter, was mich noch mehr nervte, denn ich brauchte einen Partner fürs Labor. Am besten einen weiblichen, auf den man sich gut verlassen kann und mit dem keinerlei Gefühlsduseleien entstehen konnten. Darauf hatte ich keine Lust und noch weniger Zeit. Alle weiblichen Mitstreiter saßen aber schon in kleinen Grüppchen zusammen, also setzte ich mich auf den erstbesten freien Stuhl in die vorletzte Reihe. In der Reihe vor mir saß ein alter Schulfreund, dem ich nun, nachdem der Prof scheinbar erst in einer Stunde kommen sollte, ein Loch in den Hinterkopf starrte. Da dies nur mäßig spannend war, wurde ich auf eine Unterhaltung von einer Gruppe noch weiter vorne aufmerksam.

Einer der involvierten Menschen saß mit dem Rücken zur Tafel, also so, dass ich ein Loch in sein Gesicht starren gekonnt hätte, hätte ich gewollt. Wollte ich nicht, tat ich aber doch, denn ich konnte mich nicht davon abhalten. Da saß er, selbst sichtlich müde, mit braunem Wuschelkopf und Brille und einem süßen Lachen. Eigentlich konnte ich nichts Besonderes an ihm finden, aber irgendwas machte ihn unglaublich interessant. Ich redete mir ein, dass es wohl an meiner Müdigkeit liegen musste und, dass so oder so nichts draus werden würde und ich sowieso keine Lust auf Drama hatte, bemerkte aber im Augenwinkel wie auch er mich immer wieder ansah und schnell wegblickte als ich das wahrnahm. Es war wohl einer dieser kitschigen Filmmomente, in denen Pheromone ihre Wirkung tun und den Protagonisten das Hirn vernebeln.

Pheromone (besonders Sexualpheromone) sind Substanzen, die nur artspezifisch wirken und bestimmte Botschaften zwischen Sender und Empfänger vermitteln sollen. Man vermutet, dass der menschliche Organismus Geruchsstoffe wahrnimmt, die mit dem Immunsystem zusammenarbeiten, um so einen Partner zu finden, der ein möglichst komplementäres (in dem Fall gegensätzliches) Immunsystem besitzt um so die Wahrscheinlichkeit auf gesunde Nachkommen zu steigern. Sexualpheromone werden von Duftdrüsen sezerniert, vor allem in den Achseln und Genitalregionen. Ja, Pheromone sind sexy.

Es blieb aber keine Zeit die Gedanken und unser Blickspielchen zu vertiefen, denn die Biochemie rief. Die Arbeit war perfekte Ablenkung und ich dachte schon gar nicht mehr daran, was da morgens biochemisch vor dem Praktikum abgegangen war. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.

Mittags lief er mit seinen Freunden an meinem Arbeitsplatz vorbei und bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte wie peinlich diese Aktion sein könnte, da ich ihn ja nicht kannte, hatte ich meine Hand schon zum Gruß gehoben und mein nettestes Lächeln aufgesetzt. Zu meiner Überraschung sah er mich an und lächelte zurück. Dies führte zur einzigen biochemischen Reaktion, die an diesem Tag im Labor funktionierte. Ja man kennt das doch, wenn man jemanden sieht und das Herz plötzlich stehen bleibt? Das nennt sich Arhythmie und kann tödlich enden.

Nach dieser potenziell tödlichen Aktion sahen wir uns zwar noch einmal im Bus, wechselten jedoch kein Wort und auch an den nachfolgenden Tag lief da nichts mehr lebensgefährliches, sodass ich mich wieder komplett in die Arbeit und das Protokollieren stürzte und gar nicht mehr an ihn dachte.

Alles nur Biochemie – Überraschende Gesundheitsgefahr:

Eine Woche später blinkte bei Facebook plötzlich eine Freundschaftsanfrage auf. Mit normalem Interesse wer das wohl sein könnte, öffnete ich die App und da blickte mir ein Gesicht entgegen, dass mir zwar bekannt vorkam, ich so aber nicht zuordnen konnte.

Nach ein wenig Profilstalking und nachdem ich ein Foto von Papyrusleitbündeln gefunden hatte, wurde mir auf einmal klar, dass vermutlich er das war. Noch bevor diese Eilmeldung und ihre Bedeutung in meinem Hirn verarbeitet war, gelangte ich in einen erneuten lebensgefährlichen Zustand. Eine Tachykardie mit Folge-Apnoe hatte sich eingestellt. Auf Deutsch: Mein Herz raste so schnell, dass ich keine Luft mehr bekam. Mir wurde warm, kalt, ich schwitzte, zitterte und meine Hände wurden feucht. Ich bestätigte die Freundschaftsanfrage mit einem flauen Gefühl im Magen, was nun folgen würde. Es folgte Stille. Als emanzipierte, neugierige Frau, beschloss ich ihn anzuschreiben, da ich mir ja auch nicht ganz sicher war, ob er er war. Also fragte ich nach. Er antwortete direkt und fragte im nächsten Atemzug, ob ich fest gebunden sei und wir nicht einen Kaffee zusammen trinken wollten. Leicht überfordert verneinte ich die erste und bejahte die zweite Frage und fragte, wann er Zeit hätte. Daraufhin folgte ein langes, total witziges Gespräch über WhatsApp, denn er flog am Folgetag erstmal für vier Wochen nach Vietnam.

Quelle: Giphy

Die folgenden vier Wochen vergingen überraschend schnell und das gegenseitige Interesse wuchs zunehmend. Es wurden Kosenamen erfunden und Insidersprüche erdacht. Es war zu schön um wahr zu sein und bisher auch rein virtuell.

Der Tag an dem wir uns das erste mal wirklich treffen sollten, rückte immer näher und ich wurde immer nervöser.

Wir hatten uns zuvor eigentlich nur in Laborkitteln gesehen, welche nicht gerade figurbetonend sind und einfach alles Kopfabwärts wie einen Sack wirken lassen. Also sollte die Kleiderwahl wohlüberlegt sein, denn man wollte ja gefallen. Nichtsdestotrotz redete ich mir immer wieder ein bloß ausreichend emotionalen Abstand zu halten, um nicht am Ende verletzt zu werden. Das Problem war nur, dass ihm die Realität wirklich ausgezeichnet stand. Dennoch war zu Anfang keine verliebte Anspannung oder sonstiges zu spüren, wir gingen wie Freunde (auch wenn wir beide wussten, dass da irgendwie mehr ist) miteinander um und das fühlte sich ziemlich gut an.

Alles nur Biochemie – Ein Cocktail aus Hormonen:

An seinem Geburtstag war eine kleine private Pyjamaparty nur mit uns beiden geplant, wenn auch in unterschiedlichen Betten. Der Abend war lang, die Nacht kurz. Als wir ins Bett gingen war es bereits 4 Uhr morgens. Wir waren beide müde und zu faul mein Bett zu beziehen, also schlug ich vor, dass wir einfach zusammen in seinem schlafen könnten, insofern ihm das nichts ausmachte. Was für eine Überwindung. Er war unsicher, aber nicht abgeneigt und fragte daraufhin, ob es mir was ausmachen würde, wenn er sein T-Shirt ausziehen würde. Ich antwortete mit Pokerface und so cool es ging, dass mir das nichts ausmacht, aber innerlich dachte ich mir „Scheiße ja, ich bitte darum „. Also kuschelten wir uns unter seine Decke, ich zitterte am ganzen Körper vor Aufregung, schob es aber auf die Kälte, da ich selbst nur kurze Schlafsachen anhatte. Zum Schlafen legte ich mich auf die Seite und da passierte es, er zog mich an sich und atmete in meinen Nacken. Gänsehaut machte sich breit. Meine Rezeptiven Felder arbeiteten auf Hochtouren. Wir redeten bis morgens um 8 und bis ich vor Erschöpfung auf seiner Brust einschlief. Er hielt mich so fest in seinem Arm, dass es sich sicher anfühlte aber nicht unnötig gewollt. Es war total aufregend, aber irgendwie auch entspannend. Eine wunderschöne Mischung aus Oxytocin und Serotonin. Serotonin als Glückshormon wirkte sich entspannend aus und lies jegliche Aufregung verschwinden. Das Oxytocin, auch bekannt als Kuschelhormom wird bei Berührung ausgeschüttet und wirkt vertrauensbildend. Genau mit dieser Mischung sind wir am Folgetag aufgewacht und dementsprechend haben die Hormone unser Verhalten beeinflusst. Es folgten weitere kleine Berührungen beim Frühstücken, Geschirrspülen und Austausch von Vertrautheiten. Alles wirkte irgendwie wie in einem Traum, aber nicht übermäßig surreal. Die Hormone hatten uns fest im Griff und wir konnten uns gar nicht mehr voneinander lossagen. Mussten wir aber leider, da am nächsten Tag wieder Uni war.

Alles nur Biochemie – Schmetterlinge, Kampf oder Flucht?

In den nachfolgenden Tagen kam ich an den Punkt an dem ich die ersten Schmetterlinge spürte. Die sogenannten Schmetterlinge im Bauch, welche als Signal des Verliebtseins geführt werden, sind im Grunde nichts anderes als eine Stressreaktion des Körpers. Vor Aufregung wird Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, was beispielsweise zu Herzrasen führt, aber auch auf den Verdauungstrakt wirkt, der unter Stresshormonen nicht arbeitet. Der Körper befindet sich im Fight-or-Flight Syndrom. Dieses entsteht als Folgereaktion auf eine potenzielle Gefahr. Der Körper bereitet sich darauf vor zu kämpfen oder zu fliehen.

Quelle: Giphy

Verliebt sein ist ja so romantisch. Mir persönlich hat dieses Gefühl noch nie gefallen, aber die meisten stehen total drauf. Während mir also zunehmend klarer wurde, dass ich gerade dabei war mich über beide Ohren zu verlieben, fiel mir auf, dass er auf Abstand ging. Die Nachrichten wurden weniger, unpersönlicher. Zunächst schob ich das alles auf den Stress in der Uni, hatte aber ein ungutes Gefühl im Bauch. Mein Instinkt sagte mir, dass irgendwas nicht stimmte, also beschloss ich auf Konfrontation zu gehen. Es folgten lange WhatsApp-Nachrichten von beiden Seiten, in denen er klar machte, dass das zwischen uns für ihn nur Freundschaft sei. Das konnte ich ihm nicht so recht glauben, musste ich aber so hinnehmen. Bei unserem nächsten Treffen hatte sich zwischen uns eigentlich nichts verändert, wir spielten Volleyball im Park und Kämpften spielerisch. Seine Körpersprache war zunächst eindeutig und wies nicht auf Freundschaft hin, doch er vermied längeren Blickkontakt, das war neu. Irgendwas musste also sein. Ich nahm es erneut so hin, doch mein Bauch krampfte inzwischen, weil die Schmetterlinge verwirrt waren und ich Angst hatte verletzt zu werden. Auf dieses Treffen hin folgten die wirklichen Zeichen verliebt zu sein. Ich fragte mich was an mir falsch ist. Ob ich zu dick oder zu hässlich für ihn bin? Oder was Falsches gesagt hatte? Mein Selbstbewusstsein ging in den Keller. Seine Nachrichten wurden nun noch weniger und ich verstand garnichts mehr, nur dass ich nicht mehr schlafen konnte und keinen Appetit mehr hatte. War ich etwa auf Entzug? Ich steigerte mich in den Gedanken rein, er würde mich auf einmal nicht mehr mögen. Rationalität besaß mein Hirn in dem Moment schon lange nicht mehr. Mein Allgemeinzustand wurde von Tag zu Tag schlechter und auf die Uni konzentrieren war unmöglich. Ich musste also handeln und beschloss erneut einfach auf Konfrontation zu gehen und ihm mitzuteilen, dass ich so nicht weiter machen könne. Nach noch viel mehr WhatsApp Nachrichten über zwei Tage hinweg, weil er keine Zeit für ein Gespräch hatte, kam schließlich raus, dass er mich nicht verletzen wolle, er aber momentan keine Zeit für mehr als Freundschaft hätte. Er hätte Gefühle, aber nicht mehr so viele wie am Anfang. Das war mein Zusammenbruch. Alle Neurotransmitter spielten verrückt. Wut, Hass, Lachen, Weinen. Alles war irgendwie vorhanden. Nicht gegen ihn gerichtet, sondern gegen mich, doch so “dumm” gewesen und auf meine Biochemie hereingefallen zu sein.

Ende der Reaktion:

Ich überlegte mir, ob ich in der Lage wäre einfach wieder zu Freundschaft zurückzukehren. War ich aber nicht, nicht wenn er eigentlich auch Gefühle hatte. Ich beschloss also die andere Richtung des Fight-or-Flight-Syndroms einzuschlagen. Flucht. Ich wollte kein Drama, keinen Streit, eigentlich wollte ich nur glücklich und ohne Bauchschmerzen leben. Es war also an der Zeit ihm meine Gefühle zu offenbaren und ihm mein Verhalten zu erklären. Ich schilderte ihm, dass ich diese Interaktion nur ganz oder gar nicht beibehalten könne, vor allem müsse er sich über seine Gefühle klar werden. Ich entschied mich den Kontakt abzubrechen, mit dem Zusatz er könne sich wieder bei mir melden, sobald er sich über seine Gefühle im Klaren sei, denn Freundschaft und gelegentlicher Kontakt würde mich nur krank machen.

Nun sitze ich hier, mit abgeschlossenem Biochemie-Praktikum, mit abgeschlossenem Crashkurs: Das Hormonsystem- Liebe und ihre Auswirkungen auf das menschliche Hirn- eine Einführung … und fühle mich nur halb so intelligent wie eine Kartoffel.

Mit dem Fazit: Liebe?! Nein danke, ist mir zu biochemisch.

Ob eine Fortsetzung folgt ist fraglich.

Hast du auch Erfahrungen zum Thema Liebe und Biochemie gemacht, dann schreib uns! 🙂

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Über den Autor/die Autorin

Bienchen

Eine Seele mit Hirn auf der Suche nach dem großen Ganzen und dem Sinn hinter scheinbar unwichtigen Kleinigkeiten.

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