Studentencampus

Warum ich angefangen habe, uns zu hassen, als ich Student war

Studenten bei einer Demo (vielleicht gegen Bologna )
Geschrieben von Juditha Dordich

Ich weiß nicht, ob alle Neustudenten so denken oder dachten, aber bevor ich Student wurde, habe ich Studenten gehasst. Und als ich dann Student war, habe ich angefangen, uns zu hassen. Das Studentensein habe ich immer mit faulem Zeitverstreichen, naivstem Hedonismus und geizigem Egoismus verbunden. Ich habe mich jedoch geirrt. Studenten sind nicht naiv, faul oder egoistisch, im Gegenteil! Sie wissen, was sie wollen, haben klare Ziele und sind solidarisch. Natürlich ist man hilfsbereiter, wenn man selber auf Hilfe angewiesen ist; ohne Kohle von Oma, Opa oder Eltern läuft es bei den Wenigsten. Und wenns läuft, dann aufgrund von 2-3 Minijobs, was natürlich das Studium belastet. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir Studenten es schwer haben. Aber ich mag uns dennoch nicht. Und ich finde, es sollte mehr von uns geben, die ebenso empfinden. Wir Studenten sollten uns hassen oder zumindest einmal kritisch beäugeln.

„WARUM UNSERE STUDENTEN SO ANGEPASST SIND“, von der Lehrbeauftragtin des Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie in Bonn Dr. Christiane Florin, ist ein kleines, dünnes Buch über uns Studenten. Ich habe es kurz vor Studiumsbeginn gelesen und bin verdammt froh, es getan zu haben. Wie ich anfangs meinte, habe ich mich geirrt. Aber nicht dahingehend, dass wir Studenten nicht scheiße wären – das sind wir nämlich! Frau Dr. Florin formuliert es zwar nicht so hart wie ich, aber im Kern meinen wir das gleiche.

In „WARUM UNSERE STUDENTEN SO ANGEPASST SIND“ schreibt sie davon, dass Studierende weniger kritisch hinterfragen, weniger Eigeninitiative wahrnehmen, aber mehr verlangen – „im Vergleich zu wann?“ wirst du nun einwenden und das tat ich auch. Doch schon in den ersten Seiten bemüht sich Dr. Florin der „Du von deiner Alt-Generationen-Loge kannst uns Studenten gar nicht beurteilen“-Keule auszuweichen und das tut sie korrekt und gerechtfertigt. Sie argumentiert nicht wie eine “Alte“ aus der oberen Loge, die alles “Neue“ prinzipiell schlechter findet. Sie erklärt, dass diese Veränderung der Studierenden-Mentalität aufgrund der Politik zustande kam. Es war eine stetige Verwirtschaftung des Bildungssystem, was letztlich im Bologna-Vertrag mündete. „Bologna?!“, ja Bologna! Das ist keine Sauce für Nudeln. Das ist die Stadt in Italien, in der das “einheitliche“ Studiumssystem beschlossen wurde. Das System, worunter wir Studenten heute leiden. Stichwort CreditPoints, Bachelor/ Master.

Aufgrund dieses Vertrags schuften wir uns 30/ 40 Stunden in der Woche ab, hetzen von Raum zu Raum, von Büro zu Büro, von Einführungsveranstaltung zu Einführungsveranstaltung. Fünf Tage die Woche hetzen wir um ja die genaue Anzahl an CreditPoints zu sammeln, die unser Modulhandbuch uns vorschreibt. Denn „1 CP mehr erkennt die Software nicht“, erklärt der blasierte Mann im Anzug uns, „und dann kann die korrekte CP-Verwertung nicht garantiert werden.“

Verschwitzt vom Gehetze packen wir unsere grüne 1,5 Liter-Saskia vom LIDL aus und heben erstmal die Hand, denn wir haben eine Frage: „Ich brauche 4 CP- was muss ich dafür tun?“ „Wie viele Seiten soll die Hausarbeit haben?“ „Welche Schriftart, welche Schriftgröße wird verlangt?“ „Welche Zitiertechnik erlauben Sie?“ „Gibt es in der Mensa auch glutenfreies Brot?“, okay, die letzte Frage habe ich mir ausgedacht, aber es ist wohl klar, worauf ich anspielen will: Wir fragen nach allem, außer dem Inhalt. Der, und so beschrieb es auch Dr. Florin in ihren Beobachtungen als Lehrbeauftragte, wird schlicht konsumiert. Das Licht des Beamers überschattet jegliches kritisches Denkvermögen.

Ein Beispiel aus meinem Studentendasein: Ich studiere auf Lehramt und sitze in einem Kurs über Bildung. Die Dozentin erklärt abermals, dass Bildung vor allem durch Eigeninitiative funktioniert: „Sturer Frontalunterricht schafft nichts außer Lemminge. Sie als zukünftige Lehrende müssen den Austausch mit ihren Schülern suchen. So versuche ich es auch im Moment mit Ihnen. Schreiben sie nicht plump die Folien ab, sondern lesen und hören Sie zu. Wenn es sein muss, kritisieren sie, was ich vortrage- das ist Bildung.“ Oh welch Ironie, dass in dem Moment eine Kommilitonin mich anstupst und fragt, was sie für 2 CP hier machen müsse und sich darüber echauffiert, dass die Dozentin keine Folien nutze und allgemein so schwammig unterrichte. Sie wolle wissen, was sie leisten muss und nicht was “Bildung“ ist. Oh, welch Wut sich da in mir auftat. Oh, welch sturer Ignoranz sich einige Studierende doch ergeben. Und diese Unterwürfigkeit der Studierenden vor dem System hat auch Dr. Florin ausmachen können.

Wir Studenten sind so gepusht vom Modulhandbuch, dass wir es nicht einmal mehr in Frage stellen. Wir regen uns über die fehlende Freizeit auf, ja, aber die holen wir zu genüge am Wochenende nach. „Fünf Tage pauken und zwei Tage ausrasten“ ist die Devise. Solange wir diesen “Ausgleich“ haben, sind wir einigermaßen zufrieden. Und wie auch Dr. Florin, sehe ich genau hier das Problem bzw. den Punkt, warum wir „scheiße“ sind: Bologna verlangt viel von uns ab. Wir sollen bestimmte Leistungen in einer bestimmten Zeit vollbracht haben, um genau dann in die Berufswelt einzusteigen, wie es sich die Vertragsschreiber um 2000 rum ausgedacht hatten.
Das Bologna-Diktat ist so repressiv, dass wir Widerstand sogar ablehnen. Wir haben das Bologna-System verinnerlicht, fügen uns den wirtschaftlich-motivierten Erwartungen, verteidigen sie sogar. Dr. Florin schreibt, dass viele Studierende diesen Leistungsdruck sogar willkommen heißen. Widerstand würde uns nämlich vom effizientem Studieren abhalten. Gott bewahre, das wollen wir ja nicht!

Die Universität war, wenn auch nur im Gedanken Humboldts, ein Ort der Lehre, an dem du nicht nur deinen zukünftigen Beruf lerntest, sondern auch dich kennenlerntest. Ein Ort, an dem du die Welt entdecktest und verändern konntest.

Es ist mir vollkommen unverständlich, dass wir die Kinderarbeit des 19. Jahrhunderts, welche ja einen Anteil am Aufmarsch des kapitalistischen Wohlstands hatte, verurteilen, aber die Ausbeutung der Jugend, die heute stattfindet, geschehen lassen. Es ist mir verdammt unverständlich, dass die Bildungsstreiks 2009 endeten.

 

P.S. „WARUM UNSERE STUDENTEN SO ANGEPASST SIND“ bringt einem das Thema nicht nur inhaltsvoll, sogar auch ziemlich humorvoll nahe. Ich kann das Buch nur empfehlen!

Photo Credit: lewishamdreamer , cc

Über den Autor/die Autorin

Juditha Dordich

2 Kommentare

  • Ja, ja, ja und exakt! Du sprichst mir aus der Seele! Ich hasse dieses System! Ich hasse es, dass es beim studieren nicht mehr um Intellekt, Entfaltung und Verstehen geht, sondern nur noch um Angepasstheit. Wer bückt sich am tiefsten und hinterfragt am wenigsten.
    Ich sitze in Seminaren, die nur aus Referaten von Kommilitonen bestehen, die nicht mehr wissen als ich. Ich bin durch eine Studienleistung gefallen, weil die Einleitung meiner Hausarbeit „zu journalistisch“ statt „wissenschaftlich“ war. „Und wenn die Einleitung nicht stimmt, kann man den Rest erfahrungsgemäß auch gleich vergessen“.
    Ja, ich kann Firmenchefs verstehen, die sich beschweren dass Studienabgänger seit Bologna außer Zahnbelag nichts mehr draufhaben – und ja, ich glaube ich brauche dieses Buch.

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