Medizinstudenten

Dank VICE weiß jetzt ganz Deutschland, dass Medizinstudierende mit Sicherheit alle Leichenschänder sind

Geschrieben von Studiblog Staff

Das Thema Tod und Sterben ist ein sensibles Thema.

„Es gibt viel nettere Sachen, über die man nachdenken kann als den eigenen Tod. Es ist ein schwieriges Thema. Wir wissen alle, dass der Tod irgendwo da draußen auf uns wartet, doch viele von uns finden es extrem unangenehm, darüber zu reden“, leitet Ovidio Tiță seinen Artikel beim VICE Magazin ein, DER Quelle für unsere urbane Lifestylegeneration.

Um danach mit dem Medizinerbashing zu beginnen:

„Medizinstudierende scheinen dieses Problem allerdings nicht zu haben. Sie werden täglich an den Tod erinnert und können anscheinend dank ihres eigenen, makabren Humors darüber lachen.“

Im Sinne einer Liste á la „10 Dinge, die Medizinstudierende mit deinem Körper nach der Leichenspende machen“, lässt er sich von einigen (rumänischen) Studenten ihre Sicht auf den Präpkurs schildern.

Heraus kommt dann ungefähr so etwas:

Einmal habe ich den Stift meines Kumpels in einer Leiche versteckt und wir haben Suchen gespielt.

Einmal hat uns ein Dozent erzählt, dass der Penis einer Leiche einfach verschwunden war. Anscheinend hatte jemand ihn abgeschnitten und mit nach Hause genommen.

Ein Selfie mit einer Leiche zu machen, ist nicht schwieriger, als Fensterputzer sein und beim Fensterputzen ein Selfie zu schießen

An der Uni wird uns beigebracht, über den Tod Witze zu reißen und neben Leichen zu essen und all sowas. In gewisser Hinsicht hat es uns genau so kalt werden lassen wie sie.

Mein Kollege nahm daraufhin die Hand des toten Mannes und bewegte sie, als würde er masturbieren. Es war lustig, vor allem, weil unser Dozent mitgelacht hat.

Ich mag Leichen ziemlich gerne, denn im Gegensatz zu lebendigen Menschen sprechen sie nicht.

Wir sind also alle Leichenschänder, legitimiert durch unsere Dozenten. Dank VICE weiß jetzt jeder Leser, dass wir einfach nur perverse Fachidioten sind, denen jegliche Empathie und der würdevolle Umgang mit Menschen ab dem Zeitpunkt der Zulassung zum Studium verloren gegangen ist.

Es ist an der Zeit, hier einmal einiges klarzustellen.

Die erste Begegnung mit dem Präpsaal ist absolut keine Spaßveranstaltung. Viele von uns sehen zum ersten Mal einen toten Menschen. Es herrscht eine interessierte Spannung.

Beißender Formalingeruch. Es brennt in den Augen. Wirklich niemand denkt an dem Geruch an Essen, so wie es in dem Artikel behauptet wird.

Mindestens eine Person der Gruppe fällt in Ohnmacht.

Es folgt für viele eine Phase des Herantasten an das Unnatürliche. Nein, es ist für Medizinstudierende nicht normal, eine konservierte Leiche in ihre Einzelteile zu zerlegen.
Was uns antreibt, ist die Faszination für den Körper. Deshalb legen wir nach uns nach unsere Hemmungen ab und das Interesse tritt in den Vordergrund.

Es gibt klare Regeln im Präpsaal. So sind das Essen und Trinken verboten, genauso wie das Kauen von Kaugummis.

Um den Körper eines toten Menschen aus der Sicht eines Wissenschaftlers und Lernenden zu betrachten, müssen wir unsere Scheu ablegen, denn mit dem Gefühl, welches wir am ersten Tag im Präpsaal hatten, wird kein Student in der Lage sein eine Leiche zu sezieren.

Natürlich hört man nach der Zeit der Gewöhnung an den Tischen Leute freudig mit dem präparierten Arm in der Hand rufen „Ich hab den Ulnaris gefunden“. Die Freude ist nicht Ausdruck einer Herablassung über den toten Menschen, sondern des schrittweisen Vorankommens in der Präpanleitung.

Reißen wir nun permanent Witze über den Präpkurs?

Nein, aber wer vormittags 3 Stunden Muskelgruppen präpariert und gelernt hat, kann auch schon mal einen Spruch über die Zartheit der Fasern des auf dem Mensateller befindlichen Stücks Rindfleisch fallen lassen, nicht ohne eine Assoziation des Präpkurses in den Köpfen hervorzurufen.

Die permanente Auseinandersetzung für 12 Stunden in der Woche mit einem toten Köper geschieht in einer aufgelockerten Atmosphäre, in der auch ganz normale Alltagsgespräche stattfinden. Ja, wir unterhalten uns neben Leichen über den letzten Abend in der WG, denn niemand hält es auf Dauer aus, in Totenstille medizinische Begriffe murmelnd, seine Arbeit zu verrichten.

Sollte es tatsächlich einmal den Clown geben, der meint mit Körperteilen irgendeinen Scheiß anfangen zu müssen, wird dieser ziemlich schnell mit verachtenden Blicken gewürdigt. Bei Dozenten hört an dieser Stelle der Spaß auf.

Für uns ist der Präpkurs die erste längere Beschäftigung mit dem Tod und dazu die lehrreichste Erfahrung über den menschlichen Körper zugleich. Wer als nicht Mediziner in einen Präpkurs platzt, wird es befremdlich finden, mit welcher Offenheit wir alle Körperhöhlen und Strukturen der Leichen bearbeiten und begutachten.
Zugleich muss jeder verstehen, dass auch wir nur Menschen sind, die mit diesem Thema einen Umgang finden müssen. Dazu gehört eine angenehme Arbeitsatmosphäre, die gleichzeitig die Würde der Körperspender wahrt.

Was im VICE Artikel natürlich auch nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass auch die Körperspender eine Beerdigung erhalten, an der viele Medizinstudenten teilnehmen, um sich für den Dienst an der Wissenschaft zu bedanken.

Vielleicht erreicht diese Darstellung der Dinge ja auch die Menschen, die uns schon als Leichenschänder in eine Schublade gesteckt haben.

Photo Credit: lennyvandijk cc

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