Ich hätte diesen Artikel auch einfach „Disaster-Date“ betiteln können. Hab‘ ich aber nicht, denn dafür bin ich zu kreativ. Kurz zu mir: Ich bin weiblich, (fast) 23 Jahre alt, Studentin und nach einer sehr langen fixen Beziehung, die vor gut einem halben Jahr endete, sowas von überhaupt nicht auf der Suche nach einem neuen Commitment dieser Art, dass keine Fettschrift der Welt meiner Antipathie angemessen Ausdruck verleihen könnte.
Als sich vor ca. einem halben Jahr langsam aber sicher abzuzeichnen begann, dass ich mit meinem damaligen (und ersten) Freund, den ich noch aus der Schulzeit kannte, nicht alt werden würde, sagte ich meiner Familie anfänglich nichts davon. Nicht, weil wir so eine Familie sind, in der sich alle schrecklich nett aus dem Weg gehen und einander vorlügen, wie super toll das eigene Leben doch läuft (seien wir ehrlich, dafür gibt es die entferntere Verwandtschaft, die man auf Hochzeiten oder Jahresfeiern trifft), sondern, weil ich selbst nicht so ganz wusste, was ich eigentlich wollte und zuerst mal eine Zeit brauchte, um mich zu orientieren und alles mit mir auszumachen.
Vor gut zwei Monaten habe ich es ihnen dann aber recht beiläufig erzählt. Da ich meinen Ex-Freund eben schon zu Schulzeiten kannte und sich damals noch alles zuhause abspielte, waren meine Eltern von Anfang an in dieser Beziehung involviert. Obwohl mein Ex-Freund nun schon fünf Jahre lang zur Familie gehört hatte und allgemein hin auch als dauerhaftes und permanentes Mitglied in unserem Clan akzeptiert wurde, nahm die Familie den Verlust des quasi Schwiegersohns gefasst auf. Sätze wie „Es ist dein Leben“ und „Wenn du damit glücklicher bist“ fielen und ich verließ mein Elternhaus an jenem Sonntagnachmittag erleichtert und beschwingt.
Ich atmete also innerlich erleichtert durch, schüttelte die letzten Reste emotionaler Nachwehen ab und stürzte mich in das Single-Studentenleben. Es war ganz wunderbar! Noch nie in meinem Leben war ich wirklich single gewesen, im Sinne von erwachsen, frei, unabhängig und ungebunden und ich genoss es mehr oder minder tun zu können, was ich wollte. Nicht, dass das jetzt den Eindruck erweckt, dass ich in meiner Beziehung unglücklich oder eingesperrt gewesen wäre, aber diejenigen, die vielleicht eine ähnliche Beziehungshistorie aufweisen können, verstehen die Wonne des bis dato unbekannten süßen Nektars des Singlelebens.
Während ich jetzt aber völlig befreit, mich selbst zu entdecken, begann (mit 23 Jahren vielleicht eh ein bisschen spät, mögen manche nun meinen und haben damit nicht ganz Unrecht), beschlossen meine Eltern wohl ihrer unaufhörlich alternden und einzigen Tochter date-und beziehungstechnisch etwas unter die Arme zu greifen. Es war eines schönen Nachmittags im Sommer, als mein Handy klingelte und ich die Stimme meines Vaters am anderen Ende der Leitung vernahm. So weit, so unspektakulär.
Weswegen er mich anrief, war auch nicht weiter ungewöhnlich, denn es ging darum, ob ich am Abend Zeit hätte, zum Essen vorbei zu kommen. Da meine Eltern und ich in derselben Stadt wohnen, uns aber aufgrund vieler Verpflichtungen trotzdem recht selten sehen und ich nichts Besseres zu tun hatte, sagte ich spontan zu. Wieso auch nicht? Studentenkühlschränke sind, ähnlich wie Frauen in der Regierung, sowieso chronisch unterbesetzt. Wann genau ich vorbeikommen sollte, wusste mein Vater noch nicht, aber er versicherte mir, sich im Laufe des Tages noch einmal deswegen bei mir zu melden.
Ein bisschen Zeit verstrich und das von letztem Weihnachten geknipste Foto meiner Mutter erschien zusammen mit ihrem Anruf auf meinem Handydisplay. Von ihr erfuhr ich, dass man plane, sich so gegen 20:00 Uhr zuhause zu treffen und dass sich alle schon sehr freuten, mich wiederzusehen. Alle? Ein bisschen stutzig fragte ich, wer denn alles außer Mama, Papa und mir zu erwarten sei. „Och, unsere Freunde aus Berlin“, meinte meine Mutter beiläufig und begann wieder davon zu sprechen, wie schön es doch sei, dass ich Zeit hätte.
Ich war aber noch nicht ganz fertig. „Welche Freunde aus Berlin denn?“, wollte ich wissen und auch, als meine Mutter begann, mir von dem Ehepaar zu erzählen, konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, diesen schon einmal in meinem Leben begegnet zu sein. „Warum wollen die mich denn so unbedingt wiedersehen?“, fragte ich erstaunt, worauf meine Mutter meinte, dass ich bei ihnen daheim eben allgegenwärtig sei durch die Bilder, die dort von mir hängen.
Aha. Na bitte, wenn es diesen mir unbekannten alten Freunden meiner Eltern so ein großes Anliegen war mich „wiederzusehen“ und dabei ein leckeres Abendessen für mich raussprang, wer war ich denn da so ein Angebot auszuschlagen? „Okay“, meinte ich deswegen und fügte noch schnell hinzu: „Was gibt es denn zu essen?“ „Das weiß ich noch nicht“, antwortete meine Mutter und verabschiedete sich dann schnell.
Zu diesem Zeitpunkt fand ich das alles zwar schon ein bisschen komisch, aber nicht weiter auffällig. Eltern werden ja bekanntlich mit dem Alter auch alle ein bisschen schrullig. Gegen 18:00 Uhr Abend rief mich dann mein Vater noch mal an (normalerweise rufen sie mich so gut wie nie an) und ich fragte ihn, was es denn nun zu essen gebe. „Italienisch glaube ich“, erwiderte er und meinte dann: „Aber Mama und Remus sind gerade noch beim Einkaufen.“ Remus wer? „Wer ist Remus?“, fragte ich auch prompt meinen Vater und die Antwort kam eher zögerlich. „Der Sohn von unseren Berliner Freunden. Remus.“
Sie haben einen Sohn? Und wieso nehmen sie den mit? Wie alt ist der denn? „Aha“, sagte ich, weil mir auch nichts Besseres einfiel und wartete auf eine Art Erklärung von Seiten meines Vaters. Die kam aber nicht. „Wer ist dieser Remus?“, fragte ich deswegen nach und mein Vater begann mir begeistert von dem tollen Uni-Absolventen im besten Alter zu berichten, der einen fantastischen Job in den Niederlanden ergattert hatte und so weiter und so fort. „Aber das wird er dir dann alles selbst heute Abend erzählen“, meinte mein Vater noch so und mein sarkastisches: „Na, da freu ich mich aber schon!“, hörte er wohl nicht mehr.
Mir kam das alles schon ein bisschen spanisch vor und auch das spät angesetzte Essen war irgendwie verdächtig. Meine Eltern aßen sonst abends nie später als sechs Uhr. Trotzdem fuhr ich dann am Abend zu meinem Elternhaus ein bisschen außerhalb der Stadt in Erwartung eines mäßig interessanten Abends, aber immerhin mit Pizza oder Pasta. (Ja, ich bin sehr leicht in die Falle zu locken, wie es aussieht…) Die Tür öffnete mir mein Vater, in nicht wirklich legeren Klamotten gekleidet und, als ich die Stiegen ins Esszimmer hinauf stieg, stand dort schon fein säuberlich ein Begrüßungskomitee aufgereiht. Mein Instinkt sagte mir, dass es sich bei den beiden älteren Herrschaften um die beiden Berliner handeln musste, die mich so unbedingt wiedersehen wollten. Sie begrüßten mich überschwänglich und ich lächelte brav und tat so, als würde ich sie auch schon ewig kennen. Was ein Spaß!
Im nächsten Moment hatte man mich auch schon in Richtung Küche geschoben, aus der das Scheppern und Klirren von Tellern und Töpfen zu vernehmen war. „Und das ist Remus!“, verkündete seine stolze Mutter und drückte den Arm, den sie um mich geschlungen hatte, fest zusammen. Ich wusste nicht, was mehr weh tat, die Würgegriff-ähnliche Umarmung dieser mir fremden Frau, die mich in meinem eigenen Elternhaus begrüßte, als wäre ich ihre lange verloren geglaubte Tochter, oder der Anblick des über den Töpfen schwitzenden Remus. „Hallo!“, grinste er, ignorierte meine ausgestreckte Hand und umfing mich auch gleich in einer engen Umarmung. Herr im Himmel!
Bei dem Anblick meiner beiden Erzeuger, die sich auch in der Küche eingefunden hatten, war so klar, was hier abging oder zumindest was, wenn es nach ihnen gehen würde, abgehen sollte. Eine Mischung aus peinlicher Berührtheit, Scham und Wut ließ meine Wangen erröten. Remus, der mich immer noch gefangen hielt, löste sich von mir, zwinkerte mir zu und meinte mit grausam zweideutigen Unterton: „Ganz schön heiß hier, nich`?“ Erde tu dich auf! Ich floh aus der Küche in unser Esszimmer, wohin mir die beiden älteren Berliner aber prompt folgten. Remus wollte bestimmt gerne, konnte aber nicht, weil er ja kochen musste.
Anstatt seiner begannen mich nun aber seine Eltern auszufragen und ich flehte inständig alle Mächte dieser Welt an, einen spontanen Meteoritenschauer auf unser Haus niedergehen zu lassen und die beiden Deutschen zu erschlagen, als ich bemerkte, dass der Tisch für sieben Personen gedeckt war. Wer fehlte denn noch? Hatte Remus etwa noch einen Bruder? In diesem Moment betrat eine junge Frau den Raum. In mir begann sich alles zu entspannen. Natürlich musste es sich bei dieser brünetten, mondgesichtigen Frau um Remus Freundin handeln! Beinahe lachte ich laut über mich selbst auf. Nie im Leben würden meine Eltern ernsthaft mit irgendwelchen Berliner Freunden paktieren um…“Das ist Anette“, stellte man mir den neuen Zuwachs in unserer Runde vor und ich war gerade dabei diese mir völlig fremde Person überschwänglich zu küssen, als der Beisatz „Unsere Tochter“ meine letzte Hoffnung zerbersten ließ.
Ich fasste es nicht! Die beiden Berliner mit ihrer Tochter (deren offen an den Tag gelegte „I’m-so-pissed“-Haltung eigentlich der meinen entsprach und die den ganzen Abend über kein Wort sprach, außer ihren Vater wegen Kleinigkeiten zu korrigieren und ihre Mutter blöd von der Seite anzuschnauzen), meine Eltern und ich warteten alle versammelt im Esszimmer, als Wunderknabe Remus endlich mit den dampfenden Töpfen erschien. Er platzierte sie in der Mitte des Tisches und spätestens, als ich die grüne Pampe aus unerfindlichen Gründen in meinem Suppenteller hatte, war mir klar, dass ich in mehrerlei Hinsicht an diesem Abend betrogen worden war. „Das ist kein Italienisch“, stellte ich laut fest, was mir einen bösen Blick meiner Mutter über dem Tisch einbrachte.
„Das ist Zucchini-Creme-Suppe mit Brokkoli“, erklärte mir Remus eifrig und forderte alle dazu auf kräftig zuzulangen. Ein Löffel von der Suppe mit der Konsistenz eines schlechten Pürees und mir kam fast das Kotzen (und dabei bin ich wirklich nicht wählerisch bei Essen!). Remus musste mein dezentes Würgen wohl mitbekommen haben, denn er schaute meine Mutter an und fragte: „Hast du ihr nicht gesagt, dass ich ohne Salz koche?“ Nein, verdammt, das hatte man mir nicht gesagt!
Wütend würgte ich den elenden Brokkoli-Gatsch hinunter. Der zweite Gang war dann Hühnchen mit hartem schwarzen Reis und gekochtem Paprika (in Wasser-Soße, soweit ich das beurteilen konnte) als Beilage. Natürlich auch ohne Salz beziehungsweise ohne Geschmack. Das heißt, es schmeckte schon. Nur eben scheiße. „Das ist auch kein Italienisch“, bemerkte ich mit Blick in Richtung meiner Eltern. Von meinem Vater bekam ich einen nicht minder gequälten, entschuldigenden Blick zurück. Kein Scheiß, er wollte auch keinen salzlos-kochenden langweiligen Schwiegersohn?! All das war wirklich hart an der Schmerzgrenze.
Als Remus mir ungefragt einen Nachschlag auf mein Teller packte, stand ich auf, ging in die Küche und holte Salz, welches ich demonstrativ großzügig auf meinem Essen verteilte. Die Anderen machten es mir nach. Das veranlasste Remus dazu, uns, aber im Speziellen mir, einen Vortrag darüber zu halten, wie ungesund, wie schädlich und wie gänzlich unnötig Salz doch sei. Meine Brandrede zur Verteidigung und ganz augenscheinlichen Notwendigkeit und Berechtigung des Salzes ließ ihn kalt. Ich solle ihm nur zwei, drei Wochen Zeit geben und er würde meine Geschmacksknospen ohne Salz zum Blühen bringen. Der Idiot!
Wenn er nicht gerade über das böse, böse Salz herzog, war er eine konstante Mischung aus langweilig und nervig, aber vor allem hochgradig uninteressant. Er erzählte mir von seinem Leben in Holland, wo er in irgendeiner Stadt mit ganz vielen Fahrrädern wohnt (könnte also praktisch überall in den Niederlanden sein), aber dass er nur zu Fuß gehe (eh klar!), um seine Umgebung auch wirklich wahr nehmen zu können. „Du fährst doch auch nicht mit dem Rad!“, schaltete sich meine Mutter ein, freudig darüber eine Gemeinsamkeit zwischen uns entdeckt zu haben. „Ja, weil ich einen Unfall hatte und davon traumatisiert bin“, entgegnete ich und fügte in Gedanken hinzu: ‘Und nicht weil ich bescheuert bin!‘ Aber dieser kleine Lichtblick reichte dem guten Remus schon, um darauf unsere gemeinsame Zukunft aufzubauen. Checkte der denn nicht, dass ich so wirklich überhaupt keine Sympathien für seine salzlose Existenz hegte?!
Nach der ungesüßten puren Topfencreme zum Nachtisch, teilte man mich natürlich gemeinsam mit ihm zum Spüldienst ein und mein Gott, ich war noch nie so knapp davor jemanden in Abwaschwasser zu ertränken wie diesen Kerl! „Was hast du denn da?“, fragte er, nach Körperkontakt suchend und drückte mir auf meinen schmerzenden blauen Fleck am Oberarm. „Einen blauen Fleck“, entgegnete ich ihm nüchtern unterkühlt und versuchte noch mehr Raum zwischen uns zu bringen. „Ich dachte, du warst pilgern?“, fragte er. „Wie kann man sich denn da einen blauen Fleck holen?“ Ja mei, passiert halt du Depp!
Ach, alles was ich ihm gerne gesagt hätte und dann doch nicht tat, weil ich zu gut erzogen worden bin und keinen Eklat heraufbeschwören wollte, indem ich den Sohn der Freunde meiner Eltern mit einem nassen Fetzen attackierte. Als er dann versuchte mich mit der Bratzange „zu fangen“, war meine Toleranzgrenze dann aber doch endgültig überschritten.
„Ich geh jetzt!“, verkündete ich knapp den im Wohnzimmer Sekt schlürfenden Oldies. „Was, schon?“, fragte die Berlinerin bestürzt und meine Mutter forderte mich auf noch ein Weilchen zu bleiben. „Wir bummeln dann noch ein bisschen durch die Stadt“, meinte sie. „Und du und Remus könnt es euch dann auf der Terrasse gemütlich machen.“ Sicher nicht! Jeden weiteren Versuch, mich zum Bleiben zu überreden, schlug ich mit: „Es ist schon spät und ich muss morgen noch lernen“ aus und als meine Mutter meinte, es wären doch Ferien und da hätte ich doch nun wirklich nichts zu lernen, setzte ich sie mit dem ultimativen: „Du weißt aber schon, dass Ferienzeit auf der Uni einfach nur vorlesungsfreie-Zeit bedeutet und nicht, dass ich nichts zu tun hätte, oder?“ matt und verließ fluchtartig das Haus.
Ich muss euch natürlich nicht sagen, dass die Berliner und ihr in jeder Hinsicht geschmackloser Sohn während ihres Besuches bei meinen Eltern noch einige Male versucht haben, mich in ihre Fänge zu bekommen. Stolz berichte ich, dass es mir gelungen ist, diesen Albtraum jedes Mal abzuwenden und auch nicht vor habe, die von Remus bei seiner Verabschiedung ausgesprochene Einladung, ihn doch in Holland besuchen zu kommen, anzunehmen. Mit meinen Eltern führte ich ein klärendes Gespräch, in dem ich absolut unmissverständlich klar machte, dass es ihrer Hilfe in meinem Liebesleben nicht bedarf und ihre unbeholfene Art, Amor zu spielen, absolut unnötig sei. Ich hoffe sehr, dass das bei ihnen angekommen ist und wenn nicht, dann habe ich vermutlich bald den nächsten Artikel zu diesem Thema für euch 😉