Studentenbeiträge

Umgang mit Fehlern

Ein Arzt im Krankenhaus versucht den richtigen Umgang mit Fehler
Geschrieben von juli

Vergessen, vertauscht, vernachlässigt, unterlassen, ausgelassen, gegen Regeln verstoßen, nicht gewusst, nicht gewollt, trotzdem passiert.

Es geschah an einem Freitagnachmittag…

… als mir dieser Fehler passierte, der schwerwiegender war, als einmal den OP-Tisch unsteril zu machen. Einen Fehler, der sich einmal nicht so leicht beheben ließ. Einen Fehler, der einem Patienten ernsthaft schadete.

Da war der Elektrokauter in meiner Hand und die Vene in der Pinzette des Oberarztes und ich verstand seine Kopfbewegung als Nicken. Ja, und dann war die Vene durchgebrutzelt. Nicht irgendeine Vene. Die Vene.

Es ging dann ungefähr so weiter: Er schrie mich an. Ich, zu Tode erschrocken, blaffte zurück. Der zweite Oberarzt im OP verteidigte mich. „Herrgott, sie ist halt Famulantin. Du hattest die Verantwortung!“ Gleich darauf habe ich mich entschuldigt.

Die obige OP wurde an diesem Freitag noch zu Ende geführt. Ich konnte das ganze Wochenende an nichts anderes denken. Und am Montag stand ich dann dabei, als dem Patienten, einem netten älteren Herren, erklärt wurde, dass er leider ein zweites Mal operiert werden müsse. Die erste OP war nicht erfolgreich gewesen.

Ich entschuldigte mich wiederholt und machte mir solche Vorwürfe, dass ich dieses Krankenhaus am liebsten nie wieder betreten hätte. Stattdessen meinte jener Oberarzt nach der Morgenbesprechung zu mir, er würde sich über eine zweite Assistenz im OP freuen.

Risikofaktor Mensch.

Davor und danach, in ungezählten Praktika, habe ich miterlebt, wie in Krankenhäusern Fehler passieren.

Der erfahrene Anästhesist betäubt den falschen Arm, welcher auf Station falsch markiert wurde. Erst der Chirurg wird stutzig.

Die Ellbogenfraktur bei einer Achtjährigen und der Radialisnerv, der bei der Rekonstruktion versehentlich gekappt wurde.

Der Famulant verwechselt zwei Blutproben.

Oder einfach nur die Infusionsflasche, die nicht entlüftet war.

Das alles passiert. Es passiert überall und es passiert jeden Tag. Und besonders oft passiert es Famulanten, passiert es Studenten im klinisch-praktischen Jahr, passiert es jungen Assistenten. Irgendwann ist eben der Zeitpunkt gekommen, an dem uns eine Plastikpuppe nichts mehr beibringen kann und an dem wir genug Schaumstoffarme genäht haben.

Denn wenn eines sicher ist, dann das: Wir werden Fehler machen. Wir werden vielen Patienten Gutes tun, aber es wird immer auch die geben, die ohne uns besser dran gewesen wären. Der größte Fehler, den man begehen kann, ist der, zu glauben, man mache keine Fehler. Denn nur, wenn man sich diese eingesteht, wird man sich bemühen, sie zu vermeiden.

Die Wissenschaft der Psychologie bezeichnet den „Risikofaktor Mensch“ als „Human factor“. Die Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt also. Seit mittlerweile bald zehn Jahren weisen deutsche Studien in die Richtung, dass mehr Menschen an den Folgen von Behandlungsfehlern versterben als an den Folgen eines Polytraumas. Ungefähr jeder 25. Patient, der stationär aufgenommen wird, erleidet prinzipiell vermeidbare Komplikationen. Komplikationen, die wiederum zu über 80% auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind.

Das System und der Einzelne.

Zurückzuführen sind solche Fehler entweder auf das Versagen eines Systems. Eines großen Ganzen. Eines Teams. Ein solch versagendes System kann beispielsweise eine Personalnot sein oder ein Klinikkonzern, der keine Mitarbeiterschulungen anbietet.

Es können Systeme versagen. Es können aber auch Einzelpersonen sein. Das kann der Famulus sein, der seine eigene Kompetenz überschätzt. Der Assistenzarzt in seinen zahllosen Überstunden.

Der Turnusarzt war derjenige, der vor dem Verabreichen des Medikaments nicht nach der bekannten Penicillinunverträglichkeit gefragt hat.

In seinem Krankenhaus waren rote Allergiearmbändchen, die schon in der Aufnahme angelegt werden, aber auch nicht üblich.

Es war sein dritter Nachtdienst in dieser Woche. Gesetzlich vielleicht grenzwertig, aber wegen der Grippewelle die Station schließen?

Und warum hatte die Schwester das Medikament bereits vorbereitet?

Der Erfolg hat viele Väter. Der Misserfolg ist ein Waisenkind. Hat Richard Cobden mit diesem Zitat denn wirklich Recht? Besteht nicht der Misserfolg sehr oft aus einer Verkettung von kleinen Fehlern, die letztendlich das große Scheitern auslösen? Und hat im Falle der Penicillinunverträglichkeit das System versagt oder der Einzelne?

Bedenkt man die Tatsache, dass in Kliniken mehr als doppelt so oft aufgrund von falscher Behandlung angeklagt wird, wie in Arztpraxen oder unter Belegärzten – bei in etwa gleichermaßen verteilt tätigen Ärztinnen und Ärzten – ist es womöglich eher das große System.

Das Gegenteil der Luftfahrt

Besonders dem Fingerzeig ausgesetzt sind in den Krankenhäusern die Chirurgen. Wird ein Nerv durchtrennt, ist es leicht, diesen einen Schuldigen auszumachen. Welche Menge welchen Medikaments nun die Herzinsuffizienz nicht verbessert hat, ist weniger eindeutig.

Ob nun Chirurgen mehr oder weniger Fehler machen, als andere Ärzte, sei dahin gestellt.

Gerade die Chirurgie leidet aber unter der Tabuisierung von Fehlern. Steile Hierarchien haben mangelnde Kommunikation zur Folge. In den Luftfahrt gehen beispielsweise Lufthansa und Air Berlin dazu über, dass sich Pilot und Co-Pilot dutzen – weil es Hürden in der Kommunikation abbaut. In der Chirurgie aber bekommt kaum ein Chefarzt zu hören: „Ich weigere mich, Ihnen zu assistieren, solange ich durch meine ungünstige Position nicht sehen kann, was Sie tun.“ Umgedreht beruhigt kein Oberarzt seinen Assistenten: „Ich sehe, du bist noch unerfahren. Du hast aber nichts zu befürchten, wenn du dieser Achtjährigen versehentlich den Nervus radialis durchtrennst.“

Die Angst vor Konsequenzen treibt die Dunkelziffer an falschen Behandlungen in die Höhe.

Umgang mit Fehlern

Eine Fehlerkultur besteht immer aus zwei Stufen.

Zuerst gilt es zu reflektieren, wie es zu diesem Fauxpas kommen konnte. Wer hat das falsche Bein markiert? Ach, die Patienten hatte ihre Lesebrille nicht dabei, als sie den Aufklärungsbogen unterschreiben sollte? Traute sich aber nicht, dies vor dem ungeduldigen Arzt zuzugeben? Warum war denn der Arzt so ungeduldig? Seine Station war überbelegt? Und wieso erhielt die Patientin ein Schlafmittel, bevor der Anästhesist sie fragen konnte, welches Bein zu betäuben war? Warum kontrollierten die OP-Schwestern nicht vor dem Waschen und Abdecken?

Daraus gilt es anschließend Schlüsse zu ziehen. Wie lässt sich so etwas künftig vermeiden?

Ein Paradebeispiel ist Team-Time-Out. Ein Innehalten des OP-Teams vor dem Schnitt, bei dem Anästhesisten und Chirurgen Daten und Risikofaktoren des Patienten abgleichen.

Und zusammenfassend lässt sich dann wohl festhalten: Aus Fehlern lernt man, mehr als aus Erfolgen. Mit der Einführung von Team-Time-Out zur Patientensicherheit befindet sich beispielsweise die Zahl an verwechselten Eingriffen seit über zehn Jahren auf dem Rückzug. Ungefähr genauso lange existiert CIRS (Critical Incident Reporting System), ein von der österreichischen Ärztekammer unterstütztes digitales und anonymes Berichtsystem, auf dem landesweit von Vorfällen und Verbesserungsvorschlägen berichtet wird, nachdem Patienten unnötigen Risiken ausgesetzt waren.

Und wie geht man als Famulus nun persönlich mit einem Fehler um? Reflektieren, wie es dazu kommen konnte. Darüber reden. Überlegen, was sich tun lässt, um diesen Fehler zukünftig zu vermeiden. Wer dem betroffenen Patienten erzählen möchte, was passiert ist, sollte dies am besten in Absprache mit seinem betreuenden Arzt tun, denn letztendlich liegt die Verantwortung für den Zwischenfall bei ihm und nicht beim Studierenden. Und ein Trost bleibt, denn je größer die Selbstkritik, desto unwahrscheinlicher, dass man selbigen Fehler nochmal begeht.

Über den Autor/die Autorin

juli

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