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Realität vs. Erwartung: Der Grund, warum Twentysomethings mit ihrer Karriere unzufrieden sind

Student mit unzufriedenem Gesichtsausdruck zum Thema Karriereaussichten
Geschrieben von Redaktion

Gestern habe ich eine schockierende Statistik über die Karriere von Twentysomethings gelesen.

Laut einer aktuellen Gallup-Studie ist unsere Generation die Generation, die mit Abstand am unzufriedensten mit ihrer Arbeit ist. Nur 28,9 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Das heißt 71 Prozent sind nicht zufrieden. 71 Prozent…

Als ich diese Zahlen gelesen habe, machte mich das traurig. Gleichzeitig spiegelten mir die Zahlen aber auch das wieder, was ich regelmäßig an Mails von euch bekomme. Vielleicht nicht von dir, aber von anderen Lesern des twentysomething 1×1 habe ich in den letzten Wochen und Monaten diese Mails bekommen:

  • „Ich dachte, ich hätte mit Mitte Zwanzig schon längst heraus gefunden, welche Karriere zu mir passt. Stattdessen weiß ich noch immer nicht, was ich will.“
  • „Ich dachte, dass ich mit meinem Masterabschluss schon viel weiter wäre in meiner Karriere. Stattdessen hänge ich immer noch in meinem schlecht bezahlten Einstiegsjob fest.“
  • „Ich dachte, ein  gut bezahlter Job bei einem großen Unternehmen würde mich glücklich machen. Stattdessen fühle ich mich  jeden  Montag unzufriedener beim Aufstehen.“
  • „Ich dachte, ich wäre schon längst finanziell unabhängig. Stattdessen muss ich meine Eltern immer noch nach Unterstützung fragen.“

Hast du dich in einem dieser Sätze wiedergefunden? Falls Nein, dann gehörst du zu den zufriedenen 28,9 %. Glückwunsch, das freut mich für dich!

Falls du dich wiedergefunden hast, dann bist du nicht alleine. Wie bereits erwähnt sind knapp 70% aller Twentysomethings unzufrieden mit ihrem aktuellen Job. Sie sind unzufrieden mit ihrem Chef, ihrer täglichen Arbeit, ihrem Gehalt – und wahrscheinlich mit ihrem Leben.

Da stellt sich natürlich die Frage: Warum sind so viele von uns unzufrieden mit ihrer Karriere, obwohl wir eigentlich alles haben, um zufrieden zu sein?

Um das herauszufinden, müssen wir zunächst definieren, was Zufriedenheit ist.

Die Formel für Zufriedenheit

Um Zufriedenheit zu definieren, gibt es eine geniale Formel, die Tim Urban in diesem Artikel aufgestellt hat und die ich für diesen Beitrag übernehmen möchte:

Zufriedenheit = Erwartung – Realität

In Worten ausgedrückt: Wenn die Realität besser ist als das, was wir erwartet hatten, dann sind wir zufrieden. Wenn die Realität schlechter ist als das, was wir erwartet hatten, dann sind wir unzufrieden. Hier ein Beispiel, um die Gleichung verständlicher zu machen: Wenn du in deiner Klausur eine 4,0 erwartet hast, aber der Prof dir am Ende eine 2,0 gibt, dann bist du zufrieden, wenn nicht sogar euphorisch. Wenn du aber eine 2,0 erwartet hast, aber am Ende eine 4,0 zurückbekommst, dann bist du unzufrieden, wenn nicht sogar verärgert.

Nachvollziehbar, oder?

Während es in der Gleichung drei Variabeln gibt, die wir beeinflussen können, glaube ich, dass vor allem eine Variabel dieser Formel die entscheidende Variabel für die Karriereunzufriedenheit unserer Generation ist: Erwartung.

Hohe Erwartungen bestimmen aus meiner Erfahrung heraus ganz entscheidend unsere Karrierezufriedenheit. Unsere Generation ist hoch veranlagt und noch höher ambitioniert. Wir sind selbstbewusst und wir erwarten, dass unser Karriere zu etwas Besonderem wird:

  • Wir erwarten, eine Karriere zu finden, die zu uns passt + ausgezeichnete Weiterentwicklungsmöglichkeiten bringt.
  • Wir erwarten in 3 Jahren Karriere zu machen + 30-Stunden-Woche und 30 Tage Urlaub.
  • Wir erwarten ein hohes Gehalt und Sicherheit + Work-Life-Balance
  • Wir erwarten einen Job mit guter Führung +  Sinn und Selbstverwirklichung.
  • Wir erwarten einem guten Team zu arbeiten + Individualität leben zu können

Wir erwarten von unserer Karriere eigentlich alles, was unsere Eltern erwartet hatten + 20% mehr. Das, was unsere Eltern hatten, reicht für uns in Zeiten von unglaublichen StartUp-Geschichten, „Follow-your-Passion“-Zitaten und totaler Wahlfreiheit nicht mehr aus. Und so rennen wir los, um unseren hohen Erwartungen nachzujagen – bis wir mit voller Geschwindigkeit… bummmm… gegen eine Scheibe namens Realität prallen und schmerzverzerrt hinfallen. Auaaa…

Wenn Erwartung und Realität nicht zusammenpassen

Während die Scheibe noch vibriert, merken wir mit Mitte Zwanzig, dass die Berufswelt gar nicht so ist, wie wir sie uns immer vorgestellt hatten.

Einstiegsjobs sind bescheiden. 40 Stunden Arbeitswochen sind erschöpfend. Karriere zu machen bedeutet Einsatz, Verzicht und Überstunden. 3000 Netto-Gehalt trösten nicht über stumpfe Arbeitsinhalte und fehlende Leidenschaft hinweg. Anzüge tragen und Visitenkarten verteilen macht doch nicht glücklich. Beförderungen sind nicht immer fair und Kollegen nicht immer nett.

Das alles haben wir nicht erwartet und so kommt es das 71 % aller Twentysomethings nicht zufrieden sind in ihrem Job.  Je höher unserer Erwartungen an unsere Karriere waren, desto schneller schnellt unser „Erwartung- Realitäts“-Score in den Keller.

Was danach zurückbleibt ist ein Gefühl, das wir nach einer Nacht mit zu viel Tequila und zu wenig Schlaf kennen: Wir sind müde und bemitleiden uns selbst. Wir fühlen uns sentimental und desillusioniert. Wir wünschten, wir könnten unsere Kopfschmerzen (über den Job) endlich zur Seite schieben, aufstehen und weitermachen.

Aber wir können nicht. Wir fühlen uns antriebslos und kommen nicht mehr aus dem Bett, wenn der Wecker klingelt. Die amerikanische Autorin Christine Hassler hat für diesen Zustand einen Begriff geprägt: Expectation Hangover.

Der Expectation Hangover

Der „Erwartungskater“ – wie man diesen frei Begriff übersetzen kann – beschreibt das enttäuschende Gefühl, wenn es eine Lücke zwischen unseren Erwartungen und der Realität gibt.

Es ist das Gefühl, das wir spüren, wenn wir zum Beispiel die Zusage für unseren Traumjob bekommen und nach einigen Monaten merken, dass der Job doch nicht zu uns passt. Es ist das Gefühl, das wir  haben, wenn wir die sicher geglaubte Beförderung wieder nicht bekommen haben und stattdessen immer noch im Einstiegsjob festhängen. Das Gefühl, wenn wir anstatt auf gut bezahlte Businesstrips jeden Tag ins überfüllte Großraumbüro gehen und anstatt Projekte zu leiten jeden Tag die Stunden bis zum Feierabend zählen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der Expectation Hangover kein neumodischer Begriff ist, sondern echte Realität sein kann. Ich habe ihn vor allem während meiner Zeit im Unternehmen gespürt und meine Gefühle in dem Artikel „Wie die Generation Y Erfolg neu definiert“ beschrieben.

Um mit meinem Expectation Hangover zu behandeln, habe ich zwei gute „Medikamente“ gefunden, die ich im Folgenden erläutern möchte. Ich glaube, sie könnten auch dir helfen, wenn deine Realität im krassen Gegensatz zu deinen Karriereerwartungen steht.

2 Medikamente, um deinen Expectation Hangover zu stillen

Medikament 1: Ziel vs. Erwartung

Der erste Schritt, um deinen Expectation Hangover zu minimieren ist es, deine Ziele von deinen Erwartungen zu unterscheiden. Lass uns dazu einen Blick ins Wörterbuch werfen. Ein Ziel ist laut Duden definiert als „der Punkt oder das Ende, zu dem ein Aufwand gerichtet ist“. Eine Erwartung dagegen ist definiert als „Zustand des Wartens auf den Eintritt eines Ereignisses“.

Hast du bemerkt, dass die Definition von einem Ziel das Wort „Aufwand“ und die Definition von Erwartung das Wort „warten“ enthält?

In anderen Wort ausgedrückt: Ziele beziehen sich auf etwas, das wir konkret tun können, während Erwartungen sich auf etwas beziehen, was wir uns wünschen oder erhoffen. Indem wir auf ein Ziel hinarbeiten, setzen wir uns aktiv mit geplanten Aktionen auseinander, die Schritt für Schritt zum Erfolg führen, auch wenn sich das letztendliche Ziel manchmal verändern kann.

Wenn wir jedoch etwas erwarten, dann sind wir passiv und warten – solange bis die Erwartung von der Realität getroffen oder verfehlt wird. Wir sind dabei in der Zuschauerrolle ohne konkrete Aktion. Unsere erste Aufgabe, um den Expectation Hangover zu bekämpfen ist es deshalb, weg von Erwartungen und hin zu konkreten Zielen + Aktionen zu kommen.

Wie du vorgehen kannst:

  1. Mache eine Liste mit allen Dingen, die du in deinen Zwanzigern erreichen möchtest, ohne großartig darüber nachzudenken, ob es ein Ziel oder eine Erwartung ist.
  2. Gehe durch deine Liste und kreise alles ein, was keinen spezifischen, klaren Aktionsschritt beinhaltet, den du selbst gehen kannst. Diese Dinge sind Erwartungen. Zum Beispiel, „für berufsbegleitenden Master bewerben“ ist ein Ziel, das du zu 100% unter Kontrolle hast, während „Führungsrolle mit Ende 20“ oder „erfolgreich werden“ Erwartungen sind, die du nur bedingt beeinflussen kannst.
  3. Identifiziere alle Dinge, die du nicht eingekreist hast. Das sind deine Ziele. Schreibe dir neben deine Ziele ein Datum und den kleinstmöglichen Schritt, den du noch diese Woche in Richtung deines Zieles machen kannst
  4. Identifiziere alle Dinge, die du als Erwartungen eingekreist hast und wandle sie in Ziele um. Wenn du zum Beispiel die Erwartung  „Führungsrolle mit Ende 20“ hast, kannst du dir als kurzfristige Ziele „Leadership-Kurs am 20.05 besuchen…“ oder „Lesen von Leadership-Buch bis 06.08…“ aufschreiben.
  5. Arbeite deine Ziele nacheinander nach Prioritäten ab.

Medikament 2: Meine Erwartung vs. fremde Erwartung

In den letzten 3 Jahren habe ich festgestellt, dass viele Twentysomethings nicht sicher sind, was sie wirklich von ihrem Leben wollen und sich deshalb daran orientieren, was die Gesellschaft, ihre Eltern oder ihre Freunde von ihnen erwarten. Sie nutzen diese fremden Erwartungen, um ihre eigenen Karriereziele davon abzuleiten, ohne je zu hinterfragen, ob diese Ziele wirklich das sind, was sie selbst wollen.

Ich sehe täglich Twentysomethings, die mit vollem Einsatz versuchen, eine Karriere zu kreieren, die von ihrem Umfeld – speziell von ihren Eltern – erwartet wird. Sie versuchen diesen Erwartungen zu entsprechen. Versuchen in den vorgezeichneten Lebenslauf reinzupassen, wie ein etwas zu dickliches Kind in eine viel zu enge Slimfit-Jeans. Sie zwängen sich rein, ohne je wirklich reinzupassen.

Und genau deshalb sind so viele von uns unzufrieden mit ihrer Karriere: Weil sie eine Arbeit machen, die sie insgeheim nicht machen wollen, um der Definition von Erfolg zu entsprechen, die gar nicht zu ihrer eigenen passt. Um dem zu entkommen, müssen wir  im ersten Schritt unsere eigenen Definitionen von Erfolg und Karriere kreieren und sie im zweiten Schritt auch tatsächlich zu leben.

Stelle deine eigenen Definitionen auf

Nach den eigenen Definitionen von Erfolg und Karriere zu leben ist für mich ein ganz essenzieller Teil für eine zufriedene Karriere; vielleicht sogar der essenziellste.

Egal wie schwierig es scheint, wir müssen in unseren Zanzigern den Mut und die Stärke aufbringen, für das einzustehen, was wir wollen und für das, was wir sind. Das klingt vielleicht egoistisch, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir in unserer Karriere nur glücklich werden, wenn wir sie an unseren eigenen Definitionen ausrichten, anstatt an denen von anderen Menschen.

Am Ende unserer Zwanziger ist es nicht wichtig, von anderen belächelt für unsere Karriere bewundert zu werden. Es ist nur wichtig, dass wir mit uns im Reinen sind und sagen können:

„Ich habe meine Karriere nach meinen Maßstäben ausgewählt und bin damit gut gefahren!“

Ein Teil des Erwachsenwerdens ist es, zu erkennen, welche Karriereerwartungen von dir selbst kommen und welche von außen an dich herangetragen werden. Diese Kenntnis ist eine der größten Herausforderungen in der Karriere eines jeden Twentysomethings und einer der größten Vermeider von Unzufriedenheit.

Wie du vorgehen kannst:

  1. Mache im Folgenden eine Liste von allen Dingen, die von dir beruflich erwartet werden. Alle Dinge, die du selbst von dir erwartest, die deine Familie von dir erwartet, die die Gesellschaft von dir erwartet oder die das Leben von dir erwartet. Schreibe einfach alle Erwartungen ohne Ordnung auf.
  2. Schau dir nun deine Liste an und frage dich, welche der gelisteten Erwartungen sich in deinen Erwartungen widerspiegeln und welche dir und deinem Bauchgefühl komplett widersprechen. Kreise die Erwartungen ein, die dir widersprechen.
  3. Schaue dir nun alle Erwartungen an, die du eingekreist hast und stelle diese ehrliche Fragen: 1. Was machst du aktuell (oder setzt dich unter Druck, weil du denkst du solltest etwas tun), um diese fremden Erwartungen zu erfüllt? 2. Wie würde sich dein Leben anfühlen, wenn du diese Erwartungen von deinem Leben entfernen könntest? 3. Welche Karriere würdest du wählen?
  4. Schreibe dir auf, welche Dinge du anders machen würdest, wenn du diese fremden Erwartungen nicht erfüllen müsstest.
  5. Schau dir im letzten Schritt alle Erwartungen an, die du (und nur du) an dich stellst und beantworte dann folgende Frage: Welche Karriere kann ich einschlagen, in der ich meine eigenen Erwartungen jeden Tag umsetzen kann?

Zum Abschluss:

Unsere Erwartungen an unsere Karriere bestimmen maßgeblich unsere Zufriedenheit – darüber müssen wir uns bewusst werden. Meine Hoffnung ist, dass unsere Generation den Druck von bestimmten, fremden Erwartungen zu verstehen beginnt und lernt, diese Erwartungen los zu lassen. Nur wenn wir beginnen, eine Karriere nach unseren eigenen Definition von Erfolg und Karriere leben, können wir Raum für Glück und Zufriedenheit in unserer Karriere schaffen.

Deshalb stelle ich dir folgende Frage:

Welche Definition von Karriere hast du?

Über den Autor/die Autorin

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