15 Uhr :
Meinem Plan, um 9 Uhr mit einer Kaffee Infusion und geschmierten Broten in der Bib aufzutauchen, bin ich nicht nachgekommen. Den Kampf um die besten Plätze habe ich ohnehin schon verloren. Vielleicht kann ich in den restlichen Stunden ja noch was rausholen.
15.10 Uhr:
Ich suche mir einen schönen Platz. Meine Definition von schön ist: Man kann andere Leute gut beobachten.
15.15 Uhr:
Die Leute um mich herum merken, dass ich Freunde (oder zumindest ein paar Verehrer bei Tinder habe), da ich mein Handy natürlich nicht auf lautlos habe. Aber hey, letzte Woche machte ein Typ zwei Tische vor mir seinen Laptop auf und ich musste für den Bruchteil einer Sekunde zusehen, wie ein wasserstoffblondes Mädel einem Typen einen 1a Blowjob gab- mit Ton. Das Peinlichkeits-Level habe ich noch nicht erreicht.
15.25 Uhr:
Ein Hauch von Triumph liegt in der Luft. Ich habe eine Karteikarte beschriftet, sogar mit einer kleinen Skizze. Ich gönne mir eine WhatsApp-Nachricht. Danach kommt das Ding in den Flugmodus. Pah, ich bin nämlich clever!
15.35 Uhr:
Die Fertigstellung von Karteikarte 2 liegt in der Luft, doch ich fühle mich müde. Ich hole mir erst mal einen Kaffee.
15.50 Uhr:
Das Koffein wirkt, Karteikarte 2 wird fertig.
15.55 Uhr:
Eine Jurastudentin setzt sich an den Tisch neben mir, im Schlepptau etwa 300 kg Bücher.
16.00 Uhr:
Zweui Tische vor mir setzt sich ein durchtrainierter Typ mit weitem V-Ausschnitt hin. So ein Angeber.
16.05 Uhr:
Ich beginne mit der dritten Karteikarte, als ein Mediziner vor mir ein paar Slides mit Geschlechtskrankheiten öffnet.
16.10 Uhr:
Die Jurastudentin baut sich einen optischen Schutzwall, damit sie sich den Anblick der fortgeschrittenen Gonorrhoe nicht antun muss. Angewidert beißt sie von ihrem Bounty ab.
16.15 Uhr:
Neidisch blicke ich auf zwei schlanke Beine in hautengen Jeans, die sich in mein Blickfeld schieben. Wow – warum wurde ich nicht mit besseren Genen ausgestattet. Irgendetwas stimmt nicht- als ich meinen Blick nach oben wandern lasse, stelle ich enttäuscht fest, dass die Beine zu einem metrosexuellen Typen gehören. Steh ich überhaupt nicht drauf.
16.20 Uhr:
Apollinaris? Es scheint tatsächlich Studenten zu geben, die sich Wasser leisten, was teurer als Bier ist. Die dazugehörige Konsumentin scheint ebenfalls, wie meine Tischnachbarin, aus dem Bereich der Rechtswissenschaften zu kommen. Sie hat eine Art Picknickdecke umhängen.
16.25 Uhr:
Leicht schräg neben mir schaut ein gechillter Typ eine Fußballübertragung, währen er versucht zu lernen. Die Mannschaft in weiß führt.
16.30 Uhr:
Ein paar „Bitches“ stöckeln durch den Saal. Ja, ich habe euch gesehen, seid ja kaum zu überhören.
16.35 Uhr:
Ich überlege, wie oft der muskulöse Typ zwei Tische vor mir wohl trainieren geht. Ich stelle mir Sex mit ihm vor. Lächerlich, dabei stehe ich überhaupt nicht auf solche Jungs– rede ich mir ein.
16.40 Uhr:
Meine Nachbarin der Rechtswissenschaften flechtet sich die Haare. Ich nenne sie ab jetzt Claire. Angewidert blickt sie auf die Folien des Mediziners. Der ist inzwischen bei den Analfissuren angekommen.
16.45 Uhr:
Ich habe meine dritte Karteikarte fertiggestellt. Na bitte, hat doch überhaupt nicht so lange gedauert, versuche ich mein Gewissen zu beruhigen.
16.50 Uhr:
Zeit für eine kleine Pause. Mal kurz Luft schnappen.
17.45 Uhr:
Ich ärgere mich, dass ich so lange Pause gemacht habe.
17.50 Uhr:
Zurück am Schreibtisch gibt mir die Statistik recht. Jeder 5. schaut auf sein Handy. Nur ich habe alles voll im Griff.
17.55 Uhr:
Die „Bitches“ laufen zum mindestens das vierte Mal durch den Saal. Hallooo? Das machen die nicht, weil sie so oft auf Klo müssen, sondern das ist das typische „Laufsteg-Syndrom“. Wie ich sowas liebe…
18.00 Uhr:
Das Fußballspiel des Chillers ist vorbei. Er packt auch direkt ein. Wenigstens konsequent zum Prokrastinieren hier.
18.05 Uhr:
Der muskulöse Typ packt zusammen und verlässt, mich keines Blickes würdigend, den Saal. Ich hasse ihn.
18.10 Uhr:
Ich habe die ganze Zeit drauf gewartet. „Claire“ packt ihre Nagelfeile aus. Ich überlege mir aufzuspringen und Bingo zu rufen.
18.15 Uhr:
Lieblos habe ich die vierte Karteikarte fertiggestellt.
18.20 Uhr:
Ich schalte den Flugmodus aus. Fataler Fehler. Das Checken meiner Notifications auf diversen Kanälen würde mich Stunden kosten. Auch für die Abendplanung ist gesorgt. Jemand hat mich zur Diskussionsrunde der Literaturwissenschaftler hinzugefügt. Alternativ könnte ich zum fünfjährigen Jubiläum von Manni’s (=ranziger Studentenimbiss) oder auf einen Fairtrade Flohmarkt. Ganz großes Kino.
Ich beschließe, mit einer Freundin zu Abend zu essen. Die hatte vorausschauender Weise zu Hause gelernt. Da war sie bestimmt tausendmal effektiver. Das probiere ich nächstes Mal auch mal aus.
(Gastbeitrag von Jule)