Das Leben eines Lateinstudenten fängt eigentlich schon vor dem Studium an. Die Schule ist nämlich der Ort, in welchem man seine Freude und sein Talent für die lateinische Sprache entdeckt. Oder auch nicht; das hängt natürlich von der Person ab. Während Latein in der Schule den meisten verhasst ist, weil der Lernpegel in diesem Fach einfach am höchsten ist, gibt es welche, die diese Sprache sehr schön und interessant finden. Manche gehen sogar so weit, dass sie sagen, dass sie es studieren wollen.
Unterbreitet man diesen Wunsch den anderen, wird man erst einmal schief angeguckt. Schließlich wollen die anderen entweder überhaupt nicht studieren, weil es ihnen der Schule zu ähnlich ist, oder wollen zwar studieren, aber dann höchstens ein Fach, was ihnen außerordentlich einfach vorkommt. Im Zeitalter des Internets kann man schließlich überall gucken, an welcher Universität es welche Fächer gibt und wie sie eingeschätzt werden. Heutzutage heißt es ja bei fast allen Teenagern: vertraue nur dem Internet, denn alles, was da drin steht, ist richtig. Aber das ist selbstverständlich weit gefehlt. Auf Latein werden die definitiv nicht kommen.
Studium
Wenn man jetzt einer von den Lateinfreunden ist und es sich fest vorgenommen hat, das zu studieren (entgegen jeglicher Verwunderungen vonseiten anderer Leute), beginnt das Studium bereits vor dem offiziellen Studium. Grund dafür: Es wird empfohlen, sich schon zuvor Vokabel- und Grammatikbücher zuzulegen, um sich im Vorfeld einen geeigneten Wortschatz anzueignen; im Studium selbst ist dafür ohnehin kaum noch Zeit. Bis dahin sollte man wirklich schon vieles können. Rüdiger Vischer war so freundlich, den Studenten mit seiner Vokabelsammlung eine Vokabelflut zu bescheren, in der einige untergehen. Das schreckt einen angehenden Lateinstudenten bereits vor dem Studium ab und lässt ihm Zweifel kommen, ob er nicht eventuell doch lieber ein anderes Fach studieren möchte.
Zu Beginn des Studiums ist der Schock groß, wenn man sich Lektüreübungen und Stilübungen gewählt hat und zum ersten Mal da drin sitzt. Die Anforderungen sind immens, weil man nun vom Schulniveau zum Uniniveau umswitchen muss. Nicht selten dauert eine Vorbereitung zuhause für eine Lektüreübung an die zwei Stunden; für die Stilübung nochmals etwa eineinhalb Stunden. Zudem hat man auch in anderen Veranstaltungen noch eine Menge zu tun. So kommt es, dass man sich in seiner anfänglichen Überforderung einen Tag mit 36 oder gar 40 Stunden statt 24 Stunden wünscht. Auf jeden Fall wird man mit Arbeit zugeschüttet. Gleichzeitig wird einem eine Lektüreliste ans Herz gelegt, die Semester für Semester abgearbeitet werden sollte, um es im weiteren Verlauf einfacher zu haben. Wenn das auch noch dazukommt, kann man wirklich einen längeren Tag gebrauchen. Zwei Stunden Freizeit, wo man sich um Familie, Freunde oder Hobbies kümmern kann, sind schon viel; meist eine Stunde Freizeit pro Tag, denn alles andere ist Arbeiten für das Lateinstudium.
Anders wäre es, wenn man sich von vornherein vornimmt, lieber ein wenig länger zu studieren, weil dann die Luft innerhalb des Semesters mehr wird. Man braucht sich nur ein oder zwei Veranstaltungen mit aufwendigem Stoff und absolut schwerer Abschlussklausur wählen, um sich darauf besser konzentrieren zu können. Nebenbei: Altphilologen studieren fast immer länger als die Regelstudienzeit, aber das ist bei dem Inhalt auch völlig normal und legitim.
Klausuren
Aber die Klausuren sind das nächste Thema: man soll zwar nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber hier muss man echt mal einen auf Türbrecher machen. Denn die Quote der durchfallenden Studenten ist gewaltig: sie liegt zwischen 60% (wenn man einen übermäßig humanen Dozenten hat) und 95% (wenn der Dozent streng und kleinkariert ist); unter 60% läuft fast gar nichts, während bei 95% durchaus noch Luft nach oben ist. Demotivation und die Sorge um die Zukunft steigen weiter an und lassen einem immer größere Zweifel kommen, wie lange die Psyche das aushält.
Außerdem muss man sich wohl oder übel damit abfinden, dass der Beruf, den man später damit ergreifen will, in weite Ferne rückt und man sein Leben noch einige Zeit als Student fristen muss. Immer wieder Klausuren schreiben, Nachschreibeklausuren schreiben und jedes Mal das ernüchternde Ergebnis „nicht bestanden“ drunter stehen sehen. Teilweise ist das Ergebnis zwar knapp vorbei, aber wenn es über 20 Fehler geht, fragt man sich schon, ob die Hölle nicht ein schönerer Ort wäre, um sich einzugraben.
Alleine im Bachelor Latein sollte man mit ungefähr sieben bis zwölf nicht bestandenen Klausuren rechnen, wenn nicht noch ein bisschen mehr (falls man mal Pech hat). Natürlich gibt es auch einige wenige Leute (wirklich Ausnahmen!), die recht gut durchkommen und nur wenige Klausuren nicht bestehen. Denen gönnt man das auch von Herzen und man freut sich wirklich für sie, dass sie diese (psychischen) Qualen nicht erleben müssen, aber dennoch führt es einem selbst vor Augen, wie schlecht man doch im Vergleich zu ihnen ist. So ist die Freude für die anderen groß, während die Enttäuschung für einen selber weitaus noch größer ist. Immer gegen Ende eines Semesters stellt sich der Lateinstudent folgende Frage: Warum mache ich das eigentlich überhaupt? Warum tue ich mir das jedes Semester wieder aufs Neue an? Warum ziehe ich nicht einen Schlussstrich und wechsle?
Berufsaussicht
Antwort: der Beruf. Der Beruf kommt irgendwann, auch wenn er bei Lateinstudenten in deutlich weiterer Ferne ist als bei anderen Fächern wie ev./kath. Religion, Pädagogik oder Deutsch. Dort – so wird einem immer wieder von anderen Studenten gesagt – kann man fast gar nicht durchfallen. Die guten Berufschancen, die man als Lateinstudent später hat, sind einer der wenigen Gründe, warum man sich Latein an der Uni reinzieht. Schaut man beim Schul- und Bildungsministerium auf der Seite nach, welche Lehrer für welche Fächer welche Chancen haben, stehen Mathe und Physik häufig ganz oben; Latein folgt allerdings schon unmittelbar dahinter. Es wird einem auch des Öfteren erzählt, dass, wenn man Latein studiert, einem später fast jede Schule offen steht. Darauf arbeitet ein jeder Lateinstudent hin. Das ist das einzige, was einen dann noch motivieren kann, die Klausuren doch irgendwann einmal (in der Hoffnung, nicht schon einen grauen Bart zu haben) zu bestehen und ENDLICH einmal weiterzukommen. Eine Klausur kann der Schlüssel in andere Module sein. Hat man diesen Schlüssel nicht, wird die Tür verschlossen bleiben und man bleibt der ewige Lateinstudent.
Man könnte selbstverständlich auch noch an die Universität gehen als Professor oder Dozent. Auch dabei stehen die Chancen im Fach Latein ganz gut. Man wird dann zwar an seine eigene grässliche Lateinstudiumszeit erinnert, weiß aber gleichzeitig immer, dass man nun auf der anderen Seite steht und der Lehrende und nicht der Lernende ist. Man kann nirgends mehr durch Klausuren fallen, sondern muss sie stellen und korrigieren; im Vergleich zum Studium ist das eine Wohltat, wie Salbei bei Erkältung.
Fazit
Ein schlussendliches Fazit muss bei diesem Thema mit einem gleichzeitigen Appell einhergehen: Studiert Latein wirklich NUR, wenn es euch nichts ausmacht, unheimlich viel zu lernen und zu arbeiten, auch wenn es über eure Grenzen hinausgeht. Ihr müsst dafür körperlich fit sein. Aber vor allen Dingen muss eure Psyche stark sein: Misserfolge gehören im Lateinstudium in fast jedes Semester. Hat man keine Nerven wie Drahtseile, geht man entweder kaputt oder schafft es in letzter Sekunde noch, ein anderes Fach zu wählen.
Trotzdem hat das Fach Latein (im Schul- oder Universitätsdienst) gute bis sehr gute Berufschancen, so dass es sich schon lohnt, dranzubleiben, wenn man schon angefangen hat – eine starke Psyche vorausgesetzt!