Essen bei Oma
Ich bin gerade erst angekommen und sitze schon bei Oma am Küchentisch. Nach London ist das bergige, winzige Dorf, ein krasses Kontrastprogramm, aber ich fühle mich hier wie da geborgen. „Wie war’s in England?“, will die kleine schrumpelige Frau im Schürzenkleid, die ich Oma nenne, wissen und ich versuche ihr ein Land und seine Leute zu beschreiben, in dem sie nie war und für das sie sich auch eigentlich nicht interessiert.
Sie kann nicht verstehen, wie es mich zum Studieren in die Stadt und dann sogar noch weiter weg gezogen hat und immer noch zieht. Alleine. Mittlerweile redet sie es aber nicht mehr bei jeder Gelegenheit lächerlich und hat sich irgendwo damit abgefunden, dass ich halt so bin wie ich bin und mir das kleine Nest, von dem sogar das nächste Lagerhaus (ein sicheres Zeichen, richtig am Arsch der Welt und in der tiefsten Provinz angekommen zu sein) noch 30 Minuten entfernt ist, zwar ein Zuhause ist, aber nicht mein Lebensmittelpunkt.
Besuche bei meinen Großeltern sind meistens mühsam, aber auch wenn sie nicht gerade angenehm sind, so versuche ich doch, wann immer es möglich ist bei Ihnen vorbei zu schauen. Sind ja immerhin meine Großeltern und ich liebe sie. Möchte nicht, dass sie einsam sind, sich in ihr Schneckenhaus zurück ziehen. Dass unsere Lebenswelten und damit unsere Weltanschauungen so verschieden sind, liegt einfach an den Zeiten in denen wir aufwuchsen. Je älter meine Großeltern werden, je älter ich werde, desto deutlicher wird mir dieser Graben zwischen uns bewusst. Dabei war meine Oma zu damaligen Zeiten wirklich hipp. Im Dorf war sie die Erste, die sich die dicken Zöpfe zu Gunsten eines Bobs abschnitt und Jeans trug.
Küchenbank Geschichten
Ich sitze auf der Küchenbank, kraule die fette Katze am Kopf und schlage ‚Die Klavierspielerin‘ von Elfriede Jelinek auf. Kein besonders ansprechendes Buch, wie ich finde. Irgendwann mussten wir es mal für eine Buchbesprechung oder für eine Schularbeit in der Schule lesen. Habe ich aber nie gemacht und auf die Klausur trotzdem einen Einser bekommen. 😉 Jedenfalls hole ich das mit der Klavierspielerin jetzt auf. Meine Stirn legt sich bei einer übertrieben obszönen und grauslich abstrusen Stelle in Falten und ich blase hörbar Luft durch die Nase, wie so ein kleiner grummelnder Drache.
Elfirede Jelinik, die fette Katze und das Nazi-Gedankengut
„Wos ist los?“, fragt meine Oma, die mich nicht in der Küche helfen lässt und mich, wenn überhaupt, dann nur Tisch decken lässt, was ich heute schon erledigt habe. „Ach ich lese da gerade so ein Buch.“, antworte ich. „Und es ist irgendwie ziemlich verstörend.“ Die fette Katze lässt Sabber aus ihrem Maul auf den Einband tropfen. Meine Oma erkundigt sich nach der Autorin und ich nenne ihr die österreichische Nobelpreisträgerin. Der nüchterne Kommentar meiner Oma, wie sie da so zwischen Töpfen und Pfannen steht und für eine ganze Kompanie zu kochen scheint, verschlägt mir vollkommen die Sprache: „Jo, ka Wunder, wenn des a gaislichs Zeig is wos de do schreibt. Is ja a Jüdin.“
Meine Oma, der Nazi?
Was sagt man dazu? Ich bin total perplex. Was bitte, hat meine kleine schrumpelige Berg-Oma da gerade von sich gegeben? Ganz schnell weht in der Küche statt Würsten, Knödel und Strudelduft, ein brauner Wind von 1935 in der Luft. Ich weiß, dass ich jetzt etwas sagen sollte und meiner Oma erklären muss, dass man so etwas doch bitte nicht sagen darf. Nicht sagen kann! Und dass das auf ganz vielen Ebenen untragbar ist. Aber stattdessen lache ich ein bisschen überfordert und ungläubig. Meint sie das als Scherz? Sicherlich meinte sie das als Scherz. Aber meine Oma schnippelt unbekümmert und vollkommen schmerzbefreit an der Küchentheke weiter.
Meine Oma ist kein Nazi. Wirklich nicht. Aber je älter sie und mein Großvater werden, desto öfter erzählen sie von früher. Von ihrer Kindheit. Vom Krieg. Ob das eine Rolle spielt, diese Rückerinnerung, wenn dann solche Sätze fallen? Sätze, die von früher, als sie Kinder waren, in sie eingetrichtert wurden. Gesellschaftliche Meinungen die zur Wahrheit erklärt wurden. Zur Gewissheit. Meiner Oma ist sich gar nicht so bewusst, was sie da sagt. In dem Moment gerade, hat sie einfach nur wiedergegeben. Irgendetwas Altes in ihr.
Wie gehen wir mit dem Nazi in unseren Großeltern um?
Ich überlege noch kurz und beschließe dann, diesen Satz einfach überhört zu haben und sage nur „Geh, Oma!“. Ich bin müde vom Flug und der Anfahrt und auf Grundsatzdiskussionen mit einer 80 Jährigen lasse ich mich heute nicht ein. Ist das feige von mir? Ist das falsch? Nehme ich die Sache nicht ernst gen25ug? ‚Ist ja klar, dass das scheiße ist was die macht, sie ist ja auch eine Jüdin.’ = Schlagmichtot-Pädagogik die sich an und gegen ein ganz bestimmtes Volk gerichtet hat. Mir liegen nicht nur die Knödel schwer im Magen.
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