Die Viertelleben-Krise in den Zwanzigern

Ein Junge auf einer Brücke überlegt sich seine Möglichkeiten
Geschrieben von Pascal Keller

Christoph, dein Nachbar, der in dem großen Familienhaus mit Garten neben dir wohnt, ist gerade 50 Jahre alt geworden. Du weißt das, weil seine Ehefrau Sonja vor knapp einem Monat eine große Überraschungsparty für ihn geworfen hat. Du erkennst es aber auch, weil Christoph seitdem seine Haar blond gefärbt hat, wieder Chucks trägt, anstatt einem Family Van nun ein Cabrio fährt und seine Frau Sonja gegen eine 26-jährige Medizinstudentin namens Franziska eingetauscht hat.

Obwohl die älteren Frauen im Dorf natürlich über Christophs Verhalten lästern, sind wenige deiner Nachbarn wirklich überrascht von Christophs Veränderung. Stattdessen, nicken sie verständnisvoll ihre Köpfe. „Ach, Christoph“ , sagen sie „der hat wahrscheinlich seine Midlife-Crisis. Die hat jeder in unserem Alter mal.“

Was hat das mit dir zu tun?

Erstmal nicht viel.

Die Chancen sind hoch, dass du nicht Christoph bist. Wahrscheinlich weil du keine 26-jährige Medizinstudentin als Freundin hast (obwohl du sie gern hättest), anstatt einem Cabrio den alten Ford Focus deiner Eltern fährst (falls du überhaupt schon Auto fährst) und ungeachtet von deinem Geschlecht, Christophs Ehefrau wahrscheinlich sofort heiraten würdest, wenn sie das Haus behalten dürfte und jeden Tag für dich kochen würde.

Doch obwohl Christoph und du so unterschiedlich seid, habt ihr vielleicht mehr gemeinsam als du denkst. Während Christoph gerade mitten in seiner Midlife-Crisis steckt und sein Leben völlig auf den Kopf stellen möchte, steckst auch du vielleicht auch gerade in einer persönlichen Krise – und das mit Mitte Zwanzig.

Du zweifelst an dir, du bist frustriert mit deinem Job oder unglücklich deiner Beziehung, du hast das Gefühl nirgendwo so richtig reinzupassen und fragst dich wie es weitergehen soll. Du gehst durch eine Krise, die sich im Grunde nicht stark von der Midlife-Crisis unterscheidet und sogar einen ähnlichen Namen trägt:

Die „Quarterlife-Crisis“, zu Deutsch die Viertellebenkrise, wie Abby Wilner und Alexandra Robbins die Krise nach dem ersten Lebensviertel nennen.

Es ist eine Sinn Krise, durch die viele junge Menschen im Alter zwischen 25-30 Jahren gehen und durch die auch ich vor einigen Monaten gegangen bin.

Es war eine persönliche Krise, in der aus Studentenproblemen á la „Auf welche Party gehe ich heute Abend?“, „Schaffe ich die Klausur?“, „Wie werde ich diese nervige Tussi los“?  plötzlich Sinnfragen wie „Bin ich auf dem richtigen Weg?“, „Habe ich mich für das richtige Studium entschieden?“, „Was will ich eigentlich von meinem Leben?“ wurden, die mich nächtelang nicht schlafen ließen.

Damals dachte ich, ich sei alleine mit diesen Fragen. Doch heute – knapp zwei Jahre später – weiß ich, dass nicht nur ich, sondern viele twentysomethings da draußen mit den gleichen Fragen kämpfen wie ich.

Schule und dann? – Realitätsschock

Nach mehr als 18 Jahren Schule – oder mehr, falls du länger studiert hast – erleben viele von uns eine Art „Realitätsschock“. Während unserer Schulzeit waren unsere Ziele glasklar und die Wege, sie zu erreichen, selbsterklärend. Um an einen guten Job zu bekommen, musste man einen guten Abschluss haben. Um einen guten Abschluss zu haben, musste man gute Noten haben. Um gute Noten zu haben, musste man lernen. Um gut lernen zu können, musste man früh morgens in der Bib sein. So einfach war das.

Doch nach dem Hochschulabschluss verschwimmen plötzlich unsere Ziele.

Und was früher so einfach war, wird nun immer komplexer. In der Welt der Erwachsenen gibt es plötzlich keinen bestimmten Weg mehr, um von Punkt A nach Punkt B zu kommen – egal, ob diese Punkte sich auf Karriere, Liebe, Geld oder unser soziales Leben beziehen.

Die Verwandlung vom Teenager zum Erwachsenen – von der Schule zur „realen Welt“ – kommt für viele von uns mit einem Schlag. Ein Schlag, auf den wir nicht vorbereitet wurden.

Bisher haben wir wie eine Raupe in einem Kokon gelebt, wo uns immer jemand – Eltern, Freunde oder die Schule – vor den bellenden Hunden der Realität beschützt hat.

Nach der Schule oder spätestens nach dem Hochschulabschluss müssen wir aber diesen Kokon verlassen. Und das wollen wir auch. Wir wollen endlich unser unser eigenes Ding machen und nicht mehr an Stundenpläne und Klausurtermine gebunden sein. Wir wollen endlich raus in die große Welt und unser eigenes Leben führen. Loslaufen und die Welt erobern – bis wir ans erste Stoppschild knallen und feststellen: Die Welt nach der Schule ist gar nicht so, wie wir sie uns vorgestellt haben.

Einstiegsjobs lassen uns morgens nicht mit einem Lächeln aufstehen. Die richtige Frau (oder den richtigen Mann) zu finden, ist eine Herkulesaufgabe. Das Bankkonto ist schneller im Minus als wir „Halt“ sagen können. Damit haben wir nicht gerechnet. Statt wirklich loszulaufen und die Welt zu erobern, hangeln wir uns von Monat zu Monat und von Problem zu Problem ohne wirklich zu wissen, wo wir eigentlich hin wollen.

Die Viertelleben-Krise in den Zwanzigern

Die Viertelleben – Krise ist im Grunde eine Identitätskrise, die uns mit ständig wechselnden Gefühlslagen und Gedanken verwirrt. Bei manchen entwickeln sich diese Gefühle hin zu einer Panik, vor allem bei Frauen kurz vor ihrem 30.Geburtstag, während sie bei anderen totale Unzufriedenheit oder gar eine kleine Depression hinterlassen.

Nachdem die Euphorie, die mit dem Hochschulabschluss entsteht, verschwunden ist, merken viele von uns, dass etwas fehlt. Die Kumpels, die früher in der WG nebenan wohnten und in der Vorlesung neben uns saßen, sind nun in der ganzen Welt verstreut. Die verpflichtenden Vorlesungen und Klausuren, welche immer unseren Lebensalltag bestimmt haben und uns einen Sinn gaben morgens aufzustehen, sind nicht mehr Teil unseres Lebens. Aus dem lässigen Werksstudentenjob ist nun eine 50-Stunden-Woche geworden und auf Partys fühlen wir uns alt („scheiß Kinderparty und so“).

Die Welt scheint auf einmal komisch und wir wissen nicht mehr genau, wo wir hin gehören.

Früher warst du bei deinen Eltern zu Hause, wo deine Eltern auf dich warteten. Heute kommst du in deine kleine 1- Zimmerwohnung, wo ein brummender Kühlschrank auf dich wartet. Früher warst du Schüler und dann Student. Und jetzt? „Junior Controlling Assistant“? Was ist das überhaupt?

Zu viele Möglichkeiten, zu wenig Orientierung

Angekommen in der „realen Welt“ merken viele von uns, dass 18 Jahre Schule sie nicht annähernd auf die „reale“ Welt vorbereitet haben. Jahrelang ist uns vorgegaukelt worden: Du kannst alles machen, was du willst. Doch keiner fragte: Was willst du eigentlich wirklich machen? Lehramt oder BWL studieren? Häuser entwerfen, Bilanzen berechnen oder Kindern helfen?

Uns stehen – verglichen mit unseren der Eltern oder Großeltern, deren Lebenswege oft vorgezeichnet oder eingeschränkt waren – alle Möglichkeiten offen, das Leben zu führen, das wir führen wollen und das zu tun, was wir tun möchten. Wir haben die Freiheit zu wählen. Und genau das ist für viele von uns das Problem:

Wir wissen nicht, wie wir wählen sollen.

Lebensstile sind nicht mehr so traditionell wie früher. Als digitaler Nomade, Freelancer oder Solopreneur zu arbeiten sind heute Lebensentwürfe, die unseren Eltern völlig unbekannt waren, uns aber offen stehen. Beruflich bieten neue Arbeitsfelder Karrierechancen, die es vorher gar nicht gab und jeden Tag kommen neue Berufe hinzu. Privat erleichtern uns Datingportale, Facebook, Tinder das Kennenlernen potenzieller Partner, aber geben uns gleichzeitig unterbewusst das Gefühl, dass es vielleicht jemand gibt, der noch besser zu uns passt. Jemand, der noch schöner, noch intelligenter und noch besser zu unserem „Lifestyle“ passt.

Und so schrauben wir die Ansprüche an uns, unsere Karriere und unseren Partner immer höher.

Wir wollen einen Job, der uns Sinn und Erfüllung bringt, einen Partner, der uns liebt und unterstützt, eine Wohnung, die wir stolz unseren Freunden präsentieren können und am besten noch einen Hund, der abends mit uns auf der Couch kuschelt. Alles muss perfekt sein. Jetzt sofort. Die Möglichkeiten sind da. Los, lass uns die Möglichkeiten nutzen!

Doch gerade weil wir so viele Möglichkeiten und Alternativen haben, sind wir unfähig geworden, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Vor lauter Auswahl verharren wir wie ein Rehkitz auf der Straße, wenn der Scheinwerfer auf uns leuchtet: Anstatt wegzulaufen, bleiben da wo wir sind. Aber da wo wir sind, sind wir nicht glücklich. Und dann beginnen die Zweifel und die Viertelleben – Krise nimmt ihren Lauf…

Ist das schon alles?

Für viele von uns beginnt die Viertelleben-Krise, wenn Realität und Anspruch aufeinandertreffen und eine Lücke aufklafft.

„Ist das schon alles?“ ist eine typische Frage, die viele von uns sich stellen, wenn sie auf das erste Viertel ihres Lebens zurückschauen.

Das Leben muss doch mehr bieten als von 8-17 Uhr im Büro zu sitzen und Dinge zu tun, die niemanden wirklich interessieren. Da muss doch mehr sein als jeden Morgen freudlos zur Arbeit zu fahren und von Montag bis Freitag aufs Wochenende zu warten. Da muss doch noch mehr sein als bedeutungslose One-Night-Stands und auf den Zug warten, weil wir uns das Auto nicht leisten können.

Wo ist das tolle Leben, von dem uns immer vorgeschwärmt wurde, wenn wir die Schule verlassen?

Eigentlich sollten unsere Zwanziger doch die beste Zeit unseres Lebens sein. Wenn Ahnungslosigkeit, Liebeskummer und wieder bei den Eltern einziehen für die beste Zeit unseres Lebens stehen, na dann, happy life…

Niemand hat alle Antworten

Viele von uns fühlen sich enttäuscht und verloren, wenn die reale Welt sie trifft, weil unsere Erwartungen nicht mit den Möglichkeiten unseres Lebens übereinstimmen. Wenn die Sicherheit der Schule endet, die Euphorie unseres ersten Jobs nachlässt und unsere erste ernsthafte Beziehung zerbricht, fühlen wir uns verloren und merken, dass wir nicht alle Antworten auf alle Fragen haben.

Wir beginnen nachzudenken und an uns zu zweifeln. Wir beginnen unseren bisherigen Lebensweg zu hinterfragen und wollen alles auf den Kopf stellen, so wie Christoph, der Typ mit der Midlife-Crisis. Jetzt weißt du, warum die Midlife-Crisis und die Quarterlife-Crisis sich so ähnlich sind. Die Pluspunkte Quarterlife-Crisis gegenüber der Midlife-Crisis ?

Wenn das Leben uns schon so früh herausfordert, unsere Definition von Karriere, Liebe oder Erfolg zu überdecken, dann haben wir die großartige Möglichkeiten, unser Leben neu zu bewerten und Änderungen vornehmen, wenn wir den Großteil unseres Lebens noch vor uns haben.

Treffen wir jetzt die Entscheidung unser Leben in die Hand zu nehmen und herauszufinden, was wir wirklich wollen, dann machen wir einen riesigen Schritt hin zu einem erfolgreichen und glücklichen Leben. Wir müssen den Mut haben uns einzugestehen, dass das Leben, das wir momentan führen, nicht das Leben ist, was wir wirklich leben möchten. Wir müssen mutig genug sein nicht einfach dort verharren, wo jetzt sind, sondern jeden Tag kleine Schritte raus aus der Krise machen.

Ich habe meine eigene Viertellebenkrise vor einigen Monaten gemeistert und möchte dir folgendes sagen:

Solange du es deiner Viertellebenkrise nicht erlaubst, dich komplett runter zu ziehen, wirst du stärker, schlauer und glücklicher aus ihr hervorgehen, als du in sie reingeschlittert bist.

Die Viertellebenkrise ist eine normale Phase in unseren Zwanzigern. Umarme sie. Nutze ihre Möglichkeiten, um zu wachsen und lache herzlich über deine „riesigen“ Probleme. Nutze sie und bring dein Leben in die richtige Spur – oder nicht.

Du hast mal wieder die Wahl.

Wie wählst du dieses Mal?

Ich helfe dir dabei.

Über den Autor/die Autorin

Pascal Keller

Pascal hat zwar nicht alle Antworten auf das Leben als twentysomething, aber er versucht sie zu finden und damit die Welt zu erobern ;-) In der Zwischenzeit gibt er seine gesammelten Erfahrungen an junge Menschen weiter und hilft ihnen damit, mehr aus ihren Zwanziger zu machen. Vielleicht hilft er auch dir weiter.

Erfahre mehr über Pascal und seine Arbeit auf www.pascalkeller.com

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