Der Raum ist voll mit fremden Leuten, es werden fünf verschiedene Sprachen gleichzeitig gesprochen, drei davon verstehe ich nicht. In der Lautstärke geht das meiste sowieso unter. Erneut sieht der Typ vor mir mich an und sagt: „Setz dich.“
Ich schaue mich in dem Wohnzimmer der WG um und frage mich, wohin genau ich mich setzen soll. Um einen Tisch herum sitzen die WG-Bewohner und wirken wie eine Jury bei einer Fernsehshow. Sie haben Wassergläser vor sich stehen und schauen mich abschätzig an. Auf der anderen Seite des Raumes stapeln sich Menschen auf einer Sofalandschaft und diskutieren miteinander. Ich quetsche mich irgendwo dazwischen und versuche möglichst nicht zu atmen. Ich weiß nicht genau was hier überhaupt passiert, aber so hatte ich es mir nicht vorgestellt.
Lasst das Casting der Party WG beginnen
„Ja erst mal schön, dass ihr jetzt alle hier seid (böser Blick in meine Richtung). Ich kann direkt vorab sagen, dass wir eine richtige Party WG sind, also wer nicht gerne feiert und in Clubs geht, wird sich hier nicht wohl fühlen. Wir putzen auch echt ungern, also falls ihr extrem reinlich seid, solltet ihr es euch nochmal durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht stellt ihr euch einfach mal der Reihe nach vor, damit wir uns ein Bild von euch machen können.“
Plötzliche Stille tritt ein, niemand will anfangen müssen. Ich schaue auf meine Fingernägel und ärgere mich, dass ich sie vorher nicht ordentlich lackiert habe. Ein Typ auf der anderen Seite des Sofas räuspert sich.
„Ja also ich bin der Daniel, 22 Jahre alt und ich studiere VWL. Zu meinen Hobbys gehören Feiern und Trinken.“
Wow, ein sehr ausgeglichener Typ denke ich, seine Hobbys strotzen ja vor Abwechslung. Versteht mich nicht falsch. Saufen ist geil. Aber sollte nicht mehr an einer Person dran sein als der schale Biergeschmack, der sie jeden Morgen umgibt, wenn sie zur Arbeit fährt?
So geht es munter weiter mit der Vorstellungsrunde und bei jeder Person, die spricht und der WG in den Arsch kriecht („tolle Deko habt ihr hier“, „geht ihr am 12. auch auf die Party?“, „endlich mal jemand, der meinen Lifestyle versteht“) bis die Reihe an mich kommt. Ich frage mich, ob ich überhaupt etwas über mich erzählen soll oder es besser direkt lasse und gehe.
Natürlich darf auch ich mich vorstellen
„Hey ich bin Bubblegum Bitch, ich bin 24 Jahre alt und studiere Soziale Arbeit. Ich lerne gerne Leute kennen (mir fällt einfach kein anderer Euphemismus für One Night Stands ein) und in meiner Freizeit spiele ich Gitarre und schreibe Texte. Ich trinke gerne Bier und Tequila.“
Ich sehe an den Gesichtern der Anwesenden, dass meine Hobbys viel zu viel Varietät besitzen und ich zu wenig von Alkohol trinken geredet habe.
„Okay gut, am besten stellen wir uns auch mal alle vor“ ergreift der WG Rudelleiter wieder das Wort und lässt mich nicht mehr erzählen aus welcher Stadt ich ursprünglich komme (Berlin West Keine Liebe). Ich kann ohne, dass sie was gesagt haben, schon erraten was die Hobbys sein werden. Bei jedem feiern und trinken mache ich mir einen Strich in meiner Hand. Das sind die Shots, die ich nachher trinken werde, um das hier zu vergessen.
„Wenn wir euch nehmen schreiben wir euch in zwei Tagen. Wenn ihr nichts von uns hört dann schreibt uns bitte nicht an. Jeder will immer wissen warum er nicht genommen wurde aber das können wir wirklich nicht jedem erklären.“
Der mitleidige Blick in meine Richtung entgeht mir nicht. Klar das macht Sinn, denke ich und sehe mir die fünfzig Mitbewerber/innen an. Ich frage mich, was Peter machen wird, der momentan in einer Jugendherberge wohnt oder Ursula, die nur in Deutschland bleiben kann wenn sie eine Wohnung hat und dadurch ihr Visum verlängern kann. Ich würde gerne irgendwas sagen, dass keiner von uns das hier wirklich nötig hat oder dass die Deko echt scheiße ist, aber stattdessen verabschiede ich mich nur höflich und zünde mir im Rausgehen einen Joint an. Ich schnippe ein wenig Asche auf den Boden und beschließe, nie wieder zu einem WG Casting zu gehen.
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