Ich fahre für eine Konferenz nach Salzburg und gebe dir – meinem Salzburger Nockerl – Bescheid, dass ich komme und ein paar Tage in der ewigen Mozart-Stadt verbringen werde. Hast du Zeit? Klar hast du Zeit!, schreibst du mir und dass du dich freust, mich endlich mal wieder zu sehen. Unser letztes Treffen ist schon wieder viel zu lange her und dem stimme ich absolut zu. Du bist ein vielbeschäftigter Mann und ich bin dir echt dankbar, dass du sofort deinen Terminkalender umbaust, um mich sehen zu können. In den letzten paar Wochen ging es bei mir recht turbulent zu und ich kann es kaum erwarten, meine Uni-Stadt hinter mir zu lassen.
Wiedersehen mit meinem Salzburger Nockerl
Ich breche schon ein bisschen früher auf und du sagst du freust dich und ob du mich vom Bahnhof abholen sollst. Aber ich traue der ÖBB und ihren Abfahrts-und Ankunftszeiten nicht und sage wir treffen uns besser gleich im Zentrum. Nachdem ich zuerst am Bahnhof aber in den falschen 1er Obus Richtung Messe fahre und meinen Irrtum erst in der Gaswerkgasse bemerke, verzögert sich alles ein bisschen und ich falle leicht verspätet am Karajanplatz vor der Pferdeschwemme aus dem Bus.
Du bist schon da, lehnst lässig an dem steinernen Balkon der Schwemme und grinst mich an. Ich kann nicht anders und grinse vollbepackt zurück. „Griaß di, Nockerl!“, sage ich und du lachst und ziehst mich an dich. Ich weiß nicht mehr, wann ich angefangen habe, dich Nockerl zu rufen, aber du bist Salzburger und es leitet sich gut von deinem eigentlichen Namen ab. Das ist irgendwie gar kein und doch genug Grund. Wir umarmen uns ganz lange und da ist sofort diese Magie wieder zwischen uns, von der ich im vergangenen Jahr schon gedacht hatte, ich hätte sie mir nur eingebildet.
„Essen?“, fragst du und ich nicke kräftig. Du bist hier der Einheimische, also folge ich dir über die alte Uni in die Touristen-Straße und durch kleine Hausbögen hindurch zu dem Restaurant deiner Wahl. Es sieht gemütlich aus und du stellst meine Taschen, die du mir getragen hast, unter einen Tisch. Wir sitzen, trinken und essen und das Gespräch läuft ganz von alleine. Alles passt für dich in Salzburg, die Arbeit macht dir Spaß, weswegen du auch massig Überstunden anhäufst und deine Pläne für die kommenden Jahre klingen ambitioniert.
Es liegt doch was in der Luft zwischen uns!
Als wir uns das letzte Mal sahen warst du noch in einer Beziehung und gerade frisch mit der Dame deines Herzens zusammengezogen. Es lag trotzdem etwas zwischen uns in der Luft und als du mir einen Monat später berichtest, dass du dich von ihr getrennt hast, war ich ehrlich aufgeregt. War da also doch ‚mehr‘ zwischen uns und ich hatte mir nicht eingeredet, dass du mich auffällig oft an dich gezogen hast und das gemeinsame Eis essen am Mönchsberg inklusive Regen-Überraschung (wie das halt nun mal in Salzburg so ist) eher ein Date war als ein ungezwungenes Treffen unter Freunden.
Wie wir jetzt so durch das dunkel werdende Salzburg laufen, denke ich an das eine Mal im Sommer, als du extra von deinem Büro aus zu mir gelaufen bist, um mich vor dem bösen Regen mit deinem Schirm zu retten und du mich unter diesem fest an dich gezogen hast, als könnte uns jemand auseinanderreißen. Ob du jetzt auch daran denkst? Wir plaudern und lachen gemeinsam, du legst deinen Arm zwischenzeitlich um mich und fragst, ob ich vor dem offiziellen Konferenz-Beginn in einer Stunde noch etwas trinken gehen will. Ich will.
Bei ein bisschen Alkohol reden wir dann über deine und meine Trennung und dass sich der Fuckboy, der sich irgendwie als harmloser netter Kerl getarnt hatte, aus meinem Leben verabschiedet hat. Du hörst mir zu wie ich dir viel zu viel erzähle und findest in meinen Atempausen die richtigen Worte. Deine Haare schimmern wie Honig im halbdunklen Hipster-Club-Licht und ich würde sie gerne anfassen. Ich würde dich gerne anfassen, weil du mich irgendwie berührst, aber ich trau mich nicht und etwas in mir hat Angst, dass es das, was so zerbrechlich zwischen uns flattert, zerstören könnte.
Oh du Fröhliche
Du sagst du bringst mich zu dem Saal auf der Uni in dem meine Konferenz eröffnet wird und wir machen uns auf den Weg über den Domplatz. Plötzlich ertönt sie, die erste Weihnachtsmusik des Jahres auf dem sich im Aufbau befindlichen Christkindl-Markt und ich bleibe wie angewurzelt in einer Gruppe müde und dennoch ambitioniert interessiert wirkender Asiaten stehen. „Oh du Fröhliche“ wird da von einer CD abgespielt und auf ganz seltsame Weise ist das ein magischer Moment für mich. Ich kann spüren, wie sich mein Mund in eines meiner breitesten und glücklichsten Lächeln aufzieht, wie ich da so zwischen den verwunderten Touristen stehen bleibe und ich mich auf ganz banale Art einfach freue. Ich schließe die Augen und muss mich selbst umarmen. Wenn es jetzt noch zu schneien beginnt, falle ich garantiert tot um, vor Seligkeit.
„Alles klar?“, fragst du und kommst zu mir zurück. Ein bisschen besorgt schaust du mich schon von oben herab an, als du da so vor mir stehst und es den Asiaten schwer machst, ein Foto von der glücklichen Einheimischen zu knipsen. Diese Touristen fotografieren aber auch wirklich alles. „Psssssst!“, zische ich, nehme deine Hand in meine und schließe wieder meine Augen. „Sie spielen Oh du Fröhliche!“ „Ja, Mitte November!“, schnaufst du und ich versuche, deine offensichtliche nicht-Begeisterung auszublenden. Ich bin gerade glücklich. Dabei will ich nicht gestört werden. „Is egal.“, flüstere ich.
„Jetzt gerade ist Weihnachten.“
Wir stehen da eine ganze Weile und ich fange irgendwann, zur großen, großen Freude der Asiaten, an mit der Musik aus den Lautsprechern mitzusingen. Du lachst, behältst meine Hand in deiner und akzeptierst, dass ich gerade einen Moment habe. Es weihnachtet extrem! „Komm, wir schauen ob sie schon ein paar Stände eingeräumt haben.“, sagst du und ich hüpfe wie ein kleines Kind voraus auf den Domplatz. Bei der Bude mit „exotischem Weihrauch“ bleibe ich zuerst stehen und das kleine Männchen hinter der Theke freut sich mit mir, dass ich mich freue. Hauptsächlich aber freut er sich, weil wir keine Touristen sind. Du würdest mir gerne einen Zuckerapfel kaufen, aber dafür ist es wirklich noch zu früh und deswegen schlendern wir einfach so durch die mit Weihnachtsmusik erfüllten Gassen.
„Das wäre jetzt eigentlich fast direkt romantisch.“,
stelle ich fest. „Wenn du nicht so ein Grinch wärst und Weihnachten nur strikt im Dezember zelebrieren würdest.“ Für mich machst du gerne eine Ausnahme, sagst du, legst deinen Arm um mich und ziehst mich an dich. Wer sich so schön freuen kann, muss selbst Weihnachtsmuffel mitreißen können, meinst du und ich bin irgendwie peinlich berührt. Glücklicherweise sind meine Wangen ja sowieso schon vor Kälte rot angelaufen und dunkel ist es auch, also bekommst du meine plötzlich aufsteigende Nervosität nicht mit. Du fragst, ob wir noch eine Runde drehen wollen, aber ich muss auf die Konferenz und eigentlich reicht es mir dann auch mit Weihnachten für Mitte November.
Wir marschieren durch die Altstadt und du siehst mich immer wieder grinsend von der Seite an, wie ich da so glücklich vor mich hin lächelnd neben dir lang laufe. „Was denn?“, frage ich und boxe dich in die Seite. „Nichts!“, lachst du und hältst dir den Arm. „Du freust dich wirklich, oder?“, meinst du. „Ja aber klar!“, erwidere ich und finde, dass das eine komische Frage bzw. Feststellung ist. „Wie freut man sich denn nicht wirklich?“, erkundige ich mich. „Naja es gibt einfach Menschen, die meinen das nicht so ehrlich und spielen das nur. Ich mag, dass du so herrlich ungefiltert bist.“ Ich lasse das einfach mal so zwischen uns stehen.
Nie wieder Salzburger Nockerl…
Was auch zwischen uns steht, von dem du mir aber erst erzählst, als du mich geküsst und in deiner Wohnung halb ausgezogen hast ist, dass du eine Freundin hast. Seit ein paar Monaten schon. Ich falle aus sämtlichen Wolken, als es zwischen ein bisschen stöhnen, gierigen Händen und intensiven Küssen aus dir herausplatz. Das heißt eigentlich platz es nicht aus dir heraus. Du flüster-murmelst es nur. Aber ich habe es verstanden. Das heißt verstanden habe ich es nicht, aber irgendwie registriert.
„Was?“, hauche ich fassungslos und fast stimmlos, weil mir der Schock die Kehle zuschnürt. „Was hast du gesagt?“ Ich rutsche von deinem Schoß. Suche eiligst mein T-Shirt und versuche mich zu bedecken. Ich höre nicht, was du sagst, sehe nicht, wie du dir die Haare raufst, nach mir greifen willst und versuchst zu erklären, was man nicht entschuldigen kann. Verdammt, Nockerl! Ich flüchte so schnell aus deiner Wohnung, dass ich vergessen habe, mir meine Socken wieder anzuziehen. Aber das ist egal. Ich will sie genauso wenig zurück wie dich. Oder zumindest den fragwürdigen Teil, den ich von dir bekommen hätte. Das wars wohl mit meinem Appetit auf Salzburger Nockerl…
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