Studentenbeiträge

Jann Wattjes‘ Guide to Studying: #4 Die erste Vorlesung

Erstie in Vorlesung - Mädchen sitzt im Klassenzimmer und schaut aus dem Fenster
Geschrieben von Jann Wattjes

+++Dieser Guide ist dazu konzipiert, euch von Immatrikulation bis Abschlussfeier zu Rate zu stehen. Oder euch an bessere Zeiten zu erinnern. Oder euch einfach direkt vom Studieren abzuschrecken.+++

Du hast irgendwie die O-Woche ausgekatert, irgendwie den Weg aus dem Bett und sogar irgendwie den richtigen Hörsaal gefunden, obwohl dessen Bezeichnung „A 1.04 II“ rein gar nichts über seinen Standort verraten hatte. Die Uni ist (wie leider immer nur zu Semesterbeginn) frisch gewischt, der Campus wie auch dein Hörsaal zumindest noch diese Woche komplett überfüllt. Du findest noch gerade so einen Sitzplatz in der ersten Reihe neben diesem seltsamen Typen, der seine Jacke nie auszieht, dann beginnt deine erste Vorlesung…

Variante 1:

… sine tempore um Punkt 7 Uhr. Eine Mittvierzigerin in Blazer und Kurzhaarschnitt stampft vor eine PowerPoint-Präsentation, die ihre Hilfskraft binnen eines Kolibri-Flügelschlags an die Wand geworfen hat.

„Guten Morgen, liebe Studierende, herzlich Willkommen an der Technischen Universität Großstadt. Wie sich herumgesprochen haben wird, ist es in diesem Studiengang üblich, dass im ersten Semester ausgesiebt wird. Statistisch gesehen werde ich nur ein Zehntel von Ihnen in der Anschlussveranstaltung „Einführung in Was mit Zahlen 2“ wiedersehen, weshalb ich während, vor und nach der Sitzung keine Fragen entgegennehme, sondern Sie auf meine terminpflichtige Sprechstunde verweisen muss, für die es im kommenden Semester noch freie Nachrückplätze gibt. Der Scheinerwerb erfolgt durch das Bestehen von 5 von 5 Testaten mit einer Mindestpunktzahl von 100 Prozent sowie der Abgabe acht vollständiger Sitzungsprotokolle. Den Modulabschluss erzielen Sie mit einer 35-seitigen Hausarbeit, einer mündlichen Prüfung zu einem Thema aus einer ganz anderen Fachrichtung und dem Bestehen der Abschlussklausur in der nächsten Woche. Zwei nach Sieben, wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Also: Wer kann mir sagen, wie man eine polyhexagonaldiversive Vertikalquantentetrahedonfunktion ableitet?“

Eine Reihe hinter dir setzt ein Typ seine McDonald’s Schirmmütze auf und geht wortlos und ohne seine Tasche. Der Raum spaltet sich in Schock und emotionslose Gesichter, deren Arme sich energisch heben. Es wird ein hartes Semester. Ein hartes Studium. Ein hartes Leben. Aber hey, der seltsame Typ, der seine Jacke nie auszieht, hat Skittles dabei.

Variante 2:

… erst eine halbe Stunde nach dem Vorlesungsbeginn um 14:15 Uhr. Viele sind schon gegangen, zwei Reihen am Rand spielen Das verrückte Labyrinth. Ein verschwitzter, haarloser Mann in spannendem Karohemd betritt den Raum von hinten und drängelt sich nach vorne. Eine weitere Runde Das verrückte Labyrinth vergeht, bis er das Mikrofon funktionstüchtig gemacht hat:

„Moin! Ich bin Herr Nachname-Doppelname und freue mich, dass Sie sich für den Kurs „Was ohne Zahlen: Inwieweit wirkt es sich kulturell auf die Gesamtbevölkerung aus? Eine kulturwissenschaftlich-soziologische Gesellschaftsanalyse im Vergleich“ entschieden haben! Sie sind wahrscheinlich alle Erstsemester hier an der Hochschule Kleinstadt ohne Bahnanbindung sonst wüssten Sie, dass es hier keine Anwesenheitspflicht gibt,“ der Mann lacht bebend, durch den Saal geht ein schallendes Jubeln, „aber das Tutorium kann ich sehr empfehlen, falls Sie eine Klausur schreiben wollen. Sie können aber natürlich auch was malen.“

Aus den hinteren Reihen werden Bier und Joints rumgereicht. Dem seltsamen Typen, der seine Jacke nie auszieht, spuckst du in die Skittles. Freak. Es wird ein geiles Semester. Ein geiles Studium. Ein geiles Leben. Auch wenn du danach dann bei McDonald’s arbeiten musst…

Bild: pixabay

Über den Autor/die Autorin

Jann Wattjes

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