Ich sitz im Zug nach Irgendwo,
hält zwischendurch im Nirgendwo
Und macht mich froh.
Ich weiß zwar woher,
aber ich weiß nicht wohin,
such jetzt in mir das innere Kind.
Und will es zum Lachen bringen.
Heute ist mein Geburtstag. Ich werde alt. Irgendwo in mir werde ich vielleicht auch weise, aber nur ganz leise. Nur ganz langsam. Mit der Weisheit in mir verhält es sich wie mit dem Gras. Man hört sie nur wachsen, wenn man ganz leise ist. Also halte ich heute die Luft an und höre in mich. Ich glaube, sie hören zu können. Aber vielleicht sind es auch nur die Flausen in meinem Kopf. Da gibt es anscheinend keine Altersbegrenzung.
Geburtstage sind etwas Seltsames
Plötzlich melden sich Menschen, die alle an dich, dank Facebook-Erinnerungs-Posts, denken. Es bleibt ein offenes Rätsel, ob sie das auch an anderen Tagen des Jahres machen. Ich stelle mir gerne vor, dass sie das tun. Dass René an Weihnachten in die Kirche geht und sich daran erinnert, wie sich unsere Augen über Weihrauchschwaden hinweg das erste Mal trafen und wie wir uns Wochen später vor der knarrenden Kirchentür unter Tränen Lebewohl gesagt haben. Dass Josephiné in ein buttriges Croissant beißt und an unsere Zeit in Paris zurückerinnert wird, wie wir uns vor dem Eiffelturm küssen und abends tanzend durch die gepflasterten Straßen ziehen. Dass Roland heimlich vermisst, dass ich ihm die letzten Pommes klaue und Lukas zuerst an mich denkt, wenn er ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren auf der Straße sieht.
Wohin?
Es sind romantische, hoffnungsvolle Vorstellungen, dass ich die Menschen, die in meinem Leben sind und die, die es einmal waren, berührt habe. Gerade sitze ich in einem Zug, in einem vollbesetzten Abteil, in dem niemand miteinander spricht und bin auf dem Weg. Wohin? Diese Frage lässt sich irgendwie schwer beantworten. Ich denke nicht, dass es hier so still ist, weil niemand meiner Mitfahrer etwas zu sagen hat. Aber sie tun es nicht. Sie sagen nichts, weil es so einfacher ist. Es ist einfacher nur für sich zu sein und sich nicht mit anderen (mit)zu teilen. Es ist verlockend, niemandem berühren zu wollen, um sich selbst nicht berühren zu lassen und das Risiko einzugehen, verletzt zu werden.
Mein Handy vibriert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Einzige das in meinem Leben vibriert mein Handy ist. Der Rest ist irgendwie leblos unbeteiligt. Eine Nachricht. Ich öffne sie und lese: „Alles Gute zum Geburtstag Süße! Schön, dass es dich gibt! Sehen uns viel zu selten, müssen mal wieder was machen. Bist du in der Stadt? Küsschen Liebes, Rosi!“ So eine Nachricht habe ich auch letztes Jahr von ihr bekommen. Der Zug rollt und ich fahre mit ihm, raus aus der Stadt, weg von den Menschen mit denen ich das Gefühl habe viel zu selten und dann doch zu oft ‚etwas zu machen‘. Mit Freundschaften ist das so eine Sache. Mit Menschen auch. Manchmal kommt mir das alles sehr leer vor. Ich schalte mein Handy aus und werde das Gleiche auch in Kürze mit meinem Laptop tun.
Irgendwo im Nirgendwo
Heute ist mein Geburtstag und ich habe beschlossen, mich nicht traditionell mit ‚meinen Leuten‘ zu feiern. Spontan bin ich zum Bahnhof gefahren, habe ein Ticket gekauft und bin in einen Zug gestiegen. Soweit ich das beurteilen kann, fährt der Zug nach Irgendwo und dort, wo es mir gefällt, werde ich einfach aussteigen. Anscheinend habe ich irgendwann zwischen gelangweilten Professoren, sinnfreien Vorlesungen und inhaltsleeren Diskussionen, mit meist schon vorbelasteten Akademikerkindern, meine Träume im Hochschul-Labyrinth verloren. Und jetzt, an meinem Wendepunkt-Geburtstag habe ich beschlossen, sie wiederzufinden. Nicht in den schlecht-akklimatisierten Hörsälen mit den abgewetzten Stühlen. Nicht im Bett irgendeines Typen. Nicht am Boden eines ehemals vollen Glases. Nicht zwischen den Seiten irgendeines Buches, sondern irgendwo. Und genau da fahre ich jetzt hin.
Das Leben ist keine Hausaufgabe
„Nimm dein Leben in die Hand!“ hat mir das Glückskeks vom chinesischen Lieferservice gestern Abend offenbart und genau das habe ich jetzt vor. Ich nehme mein Leben in die Hand, in dem ich es einfach mal aus der Hand gebe und das ist für eine verklemmte Perfektionistin und sich Dauersorgen-Macherin, die an das Leben wie an eine unliebsame Hausaufgabe herangeht, gar nicht so einfach. Ich mache aus diesem neuen LebensJAHR ein LebensJA. „Sehr geehrte Damen und Herren, in Kürze halten wir in ‚Soundso‘“, teilt uns die knarrende Lautsprecherstimme mit und ich blicke aus dem Fenster. Berge ziehen an mir vorüber. Kuhwiesen wechseln sich mit Baumland ab. Sieht nach Irgendwo aus. Vielleicht bin ich hier richtig.