Müssen wir die Mauer wieder hochziehen?

Mauer, mit Graffiti besprüht, vorm Brandenburger Tor in Berlin am Tag des Mauerfalls.
Geschrieben von Jann Wattjes

„Wir sind das Volk“,

ein Satz so geschichtsträchtig für Deutschland wie „Ich bin ein Berliner“, „Wollt ihr den totalen Krieg?“ oder „So gehen die Gauchos, die Gauchos die gehen so“. Nur erlebte seine Verwendung drastische Veränderung. Ende der 80er mahnte er, den eingezäunten Teil des deutschen Volkes von Mauer, Kommunismus und Vita Cola zu befreien. Mitte der 2010er fordert er die Retoure von existenzentrissenen Familien per enge, durchlöcherte Schwimmmatratze übers Mittelmeer und – noch schlimmer – per sächsischen Reisebus durch das deutsch-asoziale Ödland zurück in die Ruinen des Bürgerkriegs. Während in Dresden seit nunmehr anderthalb Jahren jeden Montag wieder Reichsparteitag ist und die NPD immer mal wieder der Unterhaltung wegen in ostdeutschen Landtagen gastiert, wehren sich nun auch die kleinen, nicht resozialisierten Käffer des Ostens mit Feuer und (psychischer wie physischer) Gewalt. Da kann dann selbst die Staatssicherheit …äääh ostdeutsche Bundespolizei nicht widerstehen mitzumachen. Sind diese Leute etwa wirklich „das Volk“, das Kohl und Genscher der Sowjetunion damals in wirren, russischen Trinkspielen abgewonnen haben?

Nein.

Klar, niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Aber das heißt ja nicht, dass das nicht zufällig passieren könnte? Verkennt nicht die Vorteile: Bonn hätte die Chance seinen 60er-Jahre Anstrich zu überwinden und wieder den – dann mit noch mehr Abstand – Exportweltmeister zu regieren. RB Leipzig könnte niemals in die erste Bundesliga aufsteigen und Red Bull nicht das anrichten, was sie mit Österreich gemacht haben (Forza Rapid!). Diese bekackten Zentral-Berliner Start-Upper und Fotografiestudenten wären plötzlich einen bewachten Grenzstreifen entfernt!

Eine absolute Traumwelt. Das Land, wo Bier und Apfelschorle fließen…

Allerdings lassen sich anhand einer hochwissenschaftlichen alternativ-historischen Analyse auch Nachteile benennen.

Stellen wir uns vor, die Mauer wäre nie gefallen:

Michael Ballack hätte seinen überschätzten Status in den blauen Trikots der DDR ausleben müssen, Kahn wäre als Kapitän nicht durch Lehmann ablösbar gewesen: Das Sommermärchen passé. Noch zeitnaher und bedeutender: Toni Kroos wäre eine Vereinslegende des Greifswalder SC und Hanno Balitsch (oder Argentinien) Weltmeister. Vergesst die Beatsteaks und Kraftklub, die Szene würden heutzutage „Bands“ wie Stanfour und Luxuslärm prägen; oder realistischer betrachtet: es gäbe keine Szene, die Jugend des letzten Jahrzehnts wäre in Subkulturen versackt, hätte sich totgeritzt oder für die Rapkarriere die Schule abgebrochen. Eine Generation, die ohnehin schon verstört genug durch das mongoloide West Sandmännchen (!!!) gewesen wäre. Nix mit Schnatterinchen und Pittiplatsch, auch auf Regierungsebene: Merkel und Gauck müssten ihr Dasein im finstersten Mecklenburg-Vorpommern fristen. Die CDU wäre ohne den Aufwind der Wiedervereinigung eingebrochen, die SPD nicht durch das Gemetzel mit SED-Nachfolger die Linke geschwächt worden: Rudolf Scharping ginge in seine 6. Amtszeit als Bundeskanzler, Gesine Schwan redet als Bundespräsidentin die längst eingetretene Abspaltung Bayerns schön. Ein schwarz-rot-silbener Alptraum inmitten des nie beendeten kalten Krieges.

Aber immerhin ohne Nazis!

Oder?

Denn was man unter all der Clausnitzer und Bautzener Bräune gerne übersieht, ist dass man mittlerweile nirgendwo vor Hetze, Rechtspopulismus und Nebensätzen hinter „Ich bin ja kein Nazi,…“ sicher ist. Sei es unter erzkatholischen Mittelstädtern, den aufs Land zurückgezogenen Bildungsbürgern oder Journalisten, die ob der eigenen Karrieredurststrecke „Lügen“ ihrer Kollegen aufdecken, besser als „die da oben“ hätte die Flüchtlingsproblematik ja jeder von ihnen angegangen. Die AfD kam letzte Woche in der Umfrage in Baden-Württemberg auf 12%, Björn Höcke kommt aus dem Pott, Beatrix von Moorhuhn aus Lübeck. Um hier keine unprofessionelle Meinungsmache zu betreiben: Natürlich sind AfD-Wähler keine Nazis. Aber Vollidioten. Selbst ich – der ja von Esenser Musikgrößen zu Recht als arrogant entlarvt wurde – habe keine Antwort auf die Flüchtlingskrise. Aber Unterkünfte verbrennen und an der Grenze auf syrische Mütter schießen, ist ziemlich sicher die falsche…

Zieht die Mauer wieder hoch!

Das ist tatsächlich keine dumme Idee, aber tauscht doch bitte vorher die ostdeutschen Durchschnittsbürger mit den westdeutschen AfD-Wählern, dann können die auch endlich abgeschottet von der Außenwelt ihr ganz eigenes „Volk“ bleiben.

Aus Jann Wattjes unendliches Wissen

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Über den Autor/die Autorin

Jann Wattjes

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