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Von Alltagsfrust und Wanderlust
Wer kennt ihn nicht, diesen sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster. Oder dieses ziehen im Herzen, diese Lust nach Abenteuer. Immer mehr junge Menschen fliehen vor dem deutschen Alltag und entscheiden sich für ein Leben im Ausland, gehen auf Reisen, brechen aus und suchen das Unbekannte. Doch woran liegt das?
Ein Erklärungsversuch
Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umschaue, dann gibt es dort sehr wenige, die wirklich zufrieden sind mit ihrer +40-Stunden-Arbeitswoche, der Aussicht auf den immer gleichen Ablauf für die nächsten Jahrzehnte, nur sporadisch durchbrochen von kleinen Highlights wie dem Mallorca-Urlaub. Die Herzen meiner Generation schreien nach Ferne! 200 Millionen Touristen auf der Welt sind in unserem Alter, das heißt jeder fünfte. Diese Gruppe wächst und mit ihr auch die durchschnittliche Reisezeit. Nicht umsonst ist das deutsche Wort Wanderlust mittlerweile auch im Englischen ein anerkannter Fachbegriff. Wanderlust – das beschreibt es doch perfekt? Die Lust aufzubrechen, loszugehen, neues zu entdecken und einfach mal alles andere hinter sich zu lassen.
Wenn man bei urbandictionary.com nach dem Begriff „Wanderer“ sucht erscheint als Top Definition: „A Person who travels aimlessly; a travler“ und als Beispiel: „He is a longtime seaman, a rootless wanderer“. Ziellos wandern, keine Wurzeln zu haben – ist es das, was uns Millennials lockt? Dieses Gefühl der absoluten Freiheit, hinzugehen wo man möchte, ohne Verpflichtungen, ohne den Doktrinen und Erwartungen der Gesellschaft zu folgen, sich frei zu machen von alle dem?
Wir wollen das Abenteuer
Eine normale Standard-Reise reicht längst nicht mehr aus, um das Bedürfnis nach Abenteuer zu stillen. Individualreisen, Backpacking, ungeplant in eine neue Welt heißt es für uns. Doch woher kommt dieses Bedürfnis unserer Generation?
Für uns sind Dinge ganz alltäglich, die für unsere Eltern noch ein Privileg waren. Eine gute Schulausbildung, ein Studium, ein eigenes Auto, die eigene Wohnung, ausgiebige Shoppingtrips und auch Urlaube – mit alldem sind wir aufgewachsen. Wenn wir einmal ehrlich sind, mussten wir uns nichts davon hart erarbeiten, die harte Vorarbeit haben unsere Eltern für uns geleistet. Desto weniger wissen wir diese Dinge eigentlich zu schätzen, sie verlieren an Bedeutung. Auch ein Studium hat heutzutage extrem an Wert verloren, einfach, weil es so vielen zugänglich und möglich ist. Wir nehmen Dinge als gegeben hin, die für die Menschen vor uns eine Besonderheit waren.
Dadurch sind wir natürlich freier
Wir müssen uns keine Gedanken mehr um die wesentlichen Dinge des Lebens machen und somit lechzen wir nach mehr. Doch ist das nicht natürlich und dem Menschen ureigen? Hat er sich jemals mit dem zufrieden gegeben, was er hatte? Vielleicht braucht die Spezies Mensch auch ein gewisses Maß an Ungewissheit? Mit Netz und doppeltem Boden fehlt vielleicht einfach der Kick?
Die Reiselust trifft dank Smartphones und sozialen Netzwerken auf fruchtbaren Boden. Im Informationszeitalter ist die Welt zu einem Dorf geworden. Der Smartphone-Display holt die Strände der Philippinen-Inseln in den grauen deutschen Alltag und konfrontiert einen mit der gnadenlosen Schönheit dieser Welt. Gerade weil die Welt so klein geworden ist, sehen sich viele stärker als „Weltbürger“. Kulturen verschwimmen, Freundschaften halten dank WhatsApp über die Distanz und Informationen verbreiten sich rasend schnell. Und wer weiß, wie lange unser Planet noch so viele schöne, unberührte Seiten hat, die es zu erkunden gilt.
Außerdem blicken wir doch nicht gerade auf eine rosige Zukunft zu Hause. Rente in hohem Alter zu den denkbar schlechtesten Tarifen, wirtschaftliche Widrigkeiten, schlechte Aussichten am Arbeitsmarkt; Wir sind nicht bereit, Geld für eine ungewisse Zukunft anzusparen, zumal aktuell sowieso kein Anreiz zum Sparen besteht, und geben unser Geld deshalb einfach lieber aus.
Für mich ist immer noch Leben das Wichtigste
Heißt es nicht, dass es die Entscheidungen die man NICHT getroffen hat sind, die man am meisten bereuen wird? Das Leben an einem vorbeiziehen zu sehen, später zurück zu blicken und sich zu fragen, ob man etwas verpasst hat, davor habe ich Angst.
Gerade im Hinblick auf diese zerstörerischen Zeiten kann reisen so viel Frieden schaffen. Neue Kulturen kennen zu lernen, seinen Horizont zu erweitern und Menschen zu treffen verbindet auf so tiefer Ebene.
Ich möchte einfach mehr!
Mehr sehen, mehr fühlen, mehr erleben, ich möchte, dass mein Herz hüpft vor Freude und meine Gedanken übersprudeln vor Erinnerungen. Mein normales Leben in Deutschland wird mir diese Wünsche nicht erfüllen können. Wir Millennials haben keine Angst vor dem Ungewissen oder vor der Welt da draußen, wir wollen sie selbst erleben, uns selbst ein Bild machen. Reisen kann einen auf so vielen Ebenen reicher machen und einen so viel mehr lehren als jedes Studium oder jede Ausbildung, davon bin ich überzeugt.
Bild: pexels