In folgendem Text gerätst du in ein Geschehen zwischen Mila und Finn und deren Liebe. Beobachte ihre Handlungen, ihre Körpersprache, ihre Äußerungen und rätsel mit was am Ende der wahre Grund sein könnte. Viel Spaß dabei! 🙂
Ein herzliches Willkommen
Er öffnete die Tür. „Wir können hier nicht rein“, sagte er sich seinen schwarzen Mantel schwingend anziehend. Er sah sie nicht an, nahm ihr den Koffer aus der Hand uns stellte ihn in die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und ließ sie nicht einmal Luft holen bevor er ihr mit einer Geste des rechten Arms den Weg wies.
Mila sagte nichts. Sie war völlig überrumpelt und folgte nur. „Wie bist du überhaupt ins Haus gekommen?“, fragte er vorwurfsvoll während sie die Treppen aus dem ersten Stock hinabstiegen. „Durch die Tür!“, sagte sie in einem herausfordernden Tonfall. „Draußen sind es 2°C und du lässt mich 10 Minuten rumstehen, ein Mieter hat mir die Tür geöffnet“, sie sah ihn nicht an und sagte mit unterdrückter Wut: „Ich war kurz davor zu gehen!“ „Und wo gehen wir jetzt hin?“, fügte sie hinzu. Noch hatte sie die Hoffnung, dass sein Ausraster vergangenen Mittwoch ein Scherz war, eine Überreaktion, er ihr vielleicht nur eine Lektion erteilen wollte und es sich nun anders überlegt hatte, sich überhaupt etwas überlegt hatte.
„Mein Papa hängt gerade die Gardinen auf, wir müssen dann wohl am Main spazieren gehen“, antwortete er schroff, als würde es ihm gerade gar nicht in den Zeitplan passen sich für sie Zeit zu nehmen. Finn öffnete die Haustüre und die beiden traten hinaus in die Kälte. Mila war empört.
„Ich hatte dich gestern extra noch gefragt, ob es dir heute zeitlich passt!“
„Und du siehst es war gelogen“, antwortete er zornig. „Ich will es einfach nur hinter mich bringen, damit auch du schnellst möglich damit abschließen kannst“, ergänzte er bissig. Mila sagte nichts. Finn lief neben ihr her. Sie kannte den Weg hinunter zum Mainufer. Zum Glück hatte sie sich warm genug angezogen. Es war eiskalt und der Wind machte die Sache noch unangenehmer. Nicht mal eine Minute gab er ihr Zeit sich mental auf die neue Situation einzustellen, bevor er begann. „Soll ich als erstes, möchtest du als erstes?“ Mila schaffte es nur kurz ihn anzusehen.
Er sah fremd aus. Hässlich.
Er hatte eingefallene Wangen, seine Augen waren von dunkelblauen Ringen umgeben und seine Ohren standen dank des neuen teuren Haarschnitts merklich ab. Seine Ausstrahlung war genährt von Kälte und Distanz. Seine Augen hatten jegliches Strahlen verloren. Sie sahen nicht wie sonst in ihre Seele, sondern auf direktem Weg durch sie hindurch.
Als hätte sie eine Wahl
Dieser Mann vor ihr war nicht Finn, auch wenn er aussah wie er. Das konnte nicht Finn sein, nicht ihr Finn. Schnell wendete sie den Blick wieder ab. Sie wusste was laut seiner Körpersprache nun folgen würde, sie würde es nicht ertragen ihm dabei in die Augen zu sehen, deshalb starrte sie gebannt auf den Boden. Er holte hörbar Luft, der Abstand zwischen den beiden füllte sich mit noch mehr Distanz. Finn sah sie kurz an, merkte aber, dass sie keinen Augenkontakt suchte und so sah auch er wieder auf den Boden.
„Es tut mir leid Mila, aber ich liebe dich nicht mehr!“, sagte er langsam und kalt mit einer Stimme und einer Tonart, die Mila gänzlich unbekannt war. Da sprach nicht Finn. Er wartete auf eine Reaktion. Sie hatte erwartet in dieser Sekunde in Tränen auszubrechen, völlig am Boden zerstört zu sein, keine Luft mehr zu bekommen. So wie am Mittwoch, als er ihr dies per Whatsapp bereits mitgeteilt hatte. Als er ihr sagte, dass er sie nicht mehr liebe, mit ihr nicht glücklich werde und diese Beziehung nicht mehr fortführen wolle. Aber nun, da er es ihr direkt sagte, zwar nicht ins Gesicht, aber doch vor ihr her, löste es keinerlei Reaktion in ihr aus. Nichts. Sie überlegte kurz, ob dies Verdrängung war, war sie in einem Schockzustand?
Nein, keine körperliche Reaktion. Sie zog ihre Augenbrauen nach innen in Richtung Nase. Das einzige was ihr noch durch den Kopf ging war, dass sie ihm nicht glaubte. Nach allem was die beiden zusammen erlebt hatten, konnte sie ihn gut genug einschätzen, um zu wissen dies war eine Lüge. Aber sie nahm es hin. Sie wusste, es steckte etwas anderes dahinter. Aber sie nahm es genauso hin. Denn Mila wusste genauso, egal was der Grund war, sie würde ihn ihm nicht logisch und rational ausreden können, egal was der Grund war, er wollte ihn ihr nicht mitteilen und er wusste, dass der Grund sie nicht mehr zu lieben, selbst für Mila bedeutete den Kampf einzustellen, nicht weiter um Finn zu kämpfen, den hier war auch sie mit aller Liebe und mit allem rationalen Denken völlig machtlos.
Er wartete noch immer auf eine Reaktion. Was erwartete er? Finn blieb stehen, sah Mila an, die ebenfalls kurz innehielt. Sie zuckte mit den Schultern und sagte „Ok“.
„Ok?!“, nun war Finn empört. Wenn auch ein wenig Erleichterung mitzuschwingen schien. „Finn, was soll ich denn deiner Meinung nach dazu sagen? Ich kann dich nicht zwingen mich zu lieben und wenn du dich bei einer anderen wohler fühlst als bei mir, so wie du es mir am Mittwoch beschrieben hast, dann kann ich doch gar nichts dagegen tun“, sagte sie kühl. Das war zwar nicht gelogen, aber das was sie wirklich empfand war es auch nicht. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, ihm eine Backpfeife verpasst. Aber zu welchem Zweck. Wut war keine gute Emotion, unproduktiv und ineffizient. Wut würde nichts nützen. Sie wollte respektvoll bleiben. Schließlich war es nicht seine Schuld, dass er sie plötzlich nicht mehr liebte.
„Ich wüsste nur gerne wie du so plötzlich darauf kommst?“
Und dann war sie weg, die Liebe
„Es war nicht plötzlich“, antwortete er beschämt. „Ich hatte das Gefühl schon seit Mitte Dezember. Ich habe mich aber nicht getraut was zu sagen – ich dachte es vergeht wieder und ich wollte dir noch schöne Weihnachten bescheren. Ich habe gehofft, dass es wieder besser wird.“ Nun wurde sie wütend.
Sie wurde laut: „Willst du mir gerade sagen, dass du schon seit einem Monat weißt, dass du mich nicht mehr liebst? Du hast an Silvester nachts bei mir angerufen, weinend wie sehr und über alles du mich liebst!“, sie wurde immer lauter. Die anderen Menschen, die ebenfalls am Mainufer spazieren gingen, hatten schon ihre Köpfe zu den beiden gedreht. „Und du hast trotzdem noch mit mir geschlafen? Du steigst mit mir ins Bett, in dem Wissen, dass es für mich ein Zeichen von Liebe und Verbundenheit ist und tust so als wäre nichts?“
Sie schrie. In ihrer Stimme war ein leichtes Zittern zu vernehmen. Finn war das ganze sichtlich peinlich und er antwortete flüsternd. „Ich konnte dir ja schlecht während wir rumgeknutscht haben, sagen, dass ich dich nicht mehr liebe?!“
„Oh doch, genau das wäre der richtige Moment gewesen! Als hätte ich dich dazu gezwungen mit mir zu schlafen. Das habe ich ganz anders in Erinnerung!“.
Sie fühlte sich gedemütigt, bloßgestellt und ausgenutzt. Sie spürte Hass. Es war eine Sache Schluss zu machen und seine Freundin nicht mehr zu lieben, aber es war eine andere Sache sie noch einen Monat auszunutzen. Noch Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke abzuräumen, sich noch schön verwöhnen zu lassen, mit ihr intim zu werden und sie so respektlos zu behandeln. Fuck!
Sie versuchte sich wieder zu beruhigen. Es nütze nichts, denn sie konnte es nicht ändern. Wie hatte er ihr das nur antun können. Die beiden waren zusammen Möbel kaufen gewesen, hatten bis Nachts um 12 das dämliche Regal aufgebaut, den Schrank zusammen gebaut. Sie hatten zusammen eine Geburtstagsfeier ausgerichtet, mit allen Freunden. Wie konnte ihr all das nur passieren? Wie hatte sie es nicht merken können – wie hatte sie es nicht merken können, dass er sie plötzlich nicht mehr liebt?! Plötzlich entsann sie sich unter all der Empörung erneut ihrer Einsicht.
Es war doch eine Lüge.
Nichts von dem was er hier sagte, stimmte zu 100 Prozent. Wahrscheinlich war, dass in allem eine Wahrheit versteckt war, aber ohne den richtigen Grund, ergab das natürlich, selbstverständlich, alles keinen Sinn. So wie er sich gerade hinstellte, so wie er sich gerade verkaufte, war er doch gar nicht. Sie kannte ihn seit 6 Jahren und sie wusste, so würde sich Finn niemals verhalten.
Aber es schien ihm recht zu sein, dass Mila das dachte. Er wollte, dass sie einen Grund hatte ihn zu verabscheuen. Er wirkte gestresst, abwesend. Nichts an ihm wirkte präsent und klar. Er wirkte berechnend und kühl. Als stotterte er eine Liste an Gründen herab, die er sich zuvor bereitgelegt hatte, eine Liste an Gründen, um ihre Beziehung und Mila komplett zu relativieren.
Genau das tat er ganze zwei Stunden lang. Einmal war ihm Mila zu selbständig, dann wiederum zu aufmerksamkeitsbedürftig. Im Grunde war Mila in diesen zwei Stunden alles und alles auf gegensätzliche Weise. Sie ließ ihn reden, brachte immer wieder für jeden Grund, den er aufzeigte, logische Gegenargumente, Lösungsansätze. Alles war logisch nachvollziehbar und lösbar. Der Schlüssel war Kommunikation. Ehrliche, aufrichtige Kommunikation.
Keine Kompromisse
Die beiden hatten schon lange nicht mehr so intensiv miteinander über ihre Probleme geredet, von daher war dies hier schon mal ehrlicher als die letzten Monate. Sie fühlte sich schon fast wohl dabei endlich mal von seiner Seite auch Kritik zu erfahren, sie fühlte sich schon fast wohl dabei ihm zu zeigen, dass sie sie aufnahm und bereit war Lösungen zu finden.
„Das ist ja alles schön und gut, aber wenn ich mit dir zusammen bleibe, dann müssten wir in so vielen Dingen Kompromisse machen und ich will kein Leben voller Kompromisse führen“, sagte er „Ich werde irgendwann nach Kanada auswandern. Dann stehen wir in vier Jahren wieder an derselben Stelle.“, fügte er hinzu. „Du bist einfach nicht die Richtige für mich“, war sein letzter energetischer Vorstoß.
„Und woher willst du das wissen?“, fragte Mila ehrlich interessiert, wenn auch ein wenig traurig, denn das traf sie nun wirklich. „Ich glaube, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass du die Richtige bist, hätte ich dich nicht so häufig angelogen. Dann hätte ich keine Angst gehabt mit dir ehrlich zu reden und ich hätte keine Angst bekommen vor den Gefühlen, die ich für dich empfunden habe“, antwortete er abgebrüht. Auch diese Antwort klang eingeübt. „Ich habe stundenlang mit Lisa darüber geredet. Sie ist derselben Meinung und noch mehr. Sie glaubt, dass ich dich nie wirklich geliebt habe. Von Anfang an nicht.“ „Okay, und was denkst du?“, fragte Mila vorsichtig nach. Jetzt musste er wohl doch erst mal nachdenken. Mit dieser Frage hatte er tatsächlich nicht gerechnet. „Ich weiß es nicht“, war seine Antwort als er mit den Schultern zuckte.
Mila war müde. Die Kälte war ihr bis in die Knochen gezogen und sie hatte seit Mittwoch, also seit 4 Tagen nichts mehr gegessen. Sie wollte ins Warme und sie wollte nach Hause. Was brachte es mit einem Fremden über ihre Beziehung mit Finn zu reden. Sie konnte sagen was auch immer sie wollte, er fand für alles eine dumme Ausrede. Die einzige Antwort, die hier aber wirklich im Raum stand, war dass er nicht mehr wollte. Er war überfordert. Er war gestresst und er wollte seine Ruhe. Sie kannte diesen Zustand und sie hatte ihn häufig selbst schon erlebt. Sie wusste, dass er auf vielen Ebenen überfordert war. Mit dem neuen Job, der neuen Wohnung und schlussendlich auch mit ihr.
Mila war nun einfach die einzige Variabel, die er eliminieren konnte. Sie hatte ihm so häufig ihre Hilfe angeboten, hatte ihn gefragt ob er reden wollte, hatte ihn vor zwei Wochen erst darauf angesprochen, dass er ihr irgendwie merkwürdig vorkam und ob ihm etwas auf dem Herzen läge. Von ihm kam immer nur Nichts. Schon vor zwei Wochen hatte sie in diesem Moment einen Nervenzusammenbruch prophezeit und da war er auch schon. Sie konnte ihn lesen und es langweilte sie schon fast, dass das einzige womit er sie überrascht hatte, die Tatsache war er würde sie nicht mehr lieben.
Einfach ‚Nein‘ sagen
„Mila, vielleicht habe ich dich wirklich nicht geliebt, habe mich gezwungen dich zu lieben, damit ich dich nicht verliere, denn irgendwie hast du mich doch in die Beziehung rein gezwungen“, sagte er auf Verständnis hoffend.
„Wie bitte?!“, entfuhr es ihr.
„Naja, wir haben miteinander geschlafen und zunächst war es für dich ok, dass wir nur eine offene Beziehung führen, aber nach zwei Monaten, hast du mich vor die Wahl gestellt, entweder etwas Festes daraus zu machen oder eben zu einer rein platonischen Freundschaft zurück zu kehren“.
„Das ist absolut richtig. Ich habe es lange berücksichtigt, dass du noch nicht so weit warst mich zu lieben, weil du dich erst von Kathrin getrennt hattest, eben genauso lange bis es mir geschadet hat. Du hättest zu jeder Zeit ‚Nein‘ sagen können. Du hättest einfach sagen können, dass du nicht in mich verliebt bist und wir wieder nur Freunde sind, aber Tatsache ist doch auch, dass du dann nicht mehr mit mir hättest schlafen können und wie wir jetzt wissen, treibt dich das zu immensen Fehlentscheidungen!“. Sie stockte kurz, um Luft zu holen und funkelte ihn böse mit den Augen an.
„Du hättest jederzeit ‚Nein‘ sagen können, stattdessen war das Erste was du darauf geantwortet hast, dass du mich liebst. Ich kann nichts dafür, dass du keine Eier in der Hose hast! Wenn dann, hast also du dich in diese Beziehung rein gezwungen. Ich kann dir auch sagen wieso. Du warst fast vier Jahre mit einer Frau zusammen, die dir nicht ein Mal gesagt hat, dass sie dich liebt. Die dir nicht ein Mal gesagt hat, dass sie dich attraktiv findet und plötzlich macht sie mit dir Schluss mit genau dieser Begründung – Überraschung! Und dann kam ich ins Spiel. Ich habe mich in dich verliebt und ich finde dich attraktiv und das habe ich offen und ehrlich mit dir kommuniziert. Vielleicht hast du nicht mich geliebt, sondern das Gefühl geliebt zu werden. Vollidiot!“
Erneut musste sie tief Luft holen, nachdem sie so schnell gesprochen hatte. Leise murmelte sie „Ich kann doch nichts dafür, dass du so beschränkt bist“. Finn sah sie nur an. Er war völlig sprachlos, aber Mila war jetzt erst richtig in Fahrt gekommen. Bei allem Verständnis, das würde sie nicht auf sich sitzen lassen.
„Sagen wir, ich hätte dich in die Beziehung gezwungen: Ich habe dich nie dazu gezwungen mir zu sagen, dass du mich liebst. Ich habe dich nie dazu gezwungen auf dem Festival vor mir auf die Knie zu gehen und mich zu bitten für immer bei dir zu bleiben, weil ich die Liebe deines Lebens bin. Ich habe dich auch nie dazu gezwungen, dies nur drei Monate später auf Felix Geburtstagsfeier zu wiederholen – Ich war lediglich das Opfer deiner ständigen Gefühlswechsel. Du hast dich wenn überhaupt selbst gezwungen!“ Während sie das sagte, fühlte sie sich machtvoll und überlegen, denn sie wusste sie hatte recht.
Finn sah sie an, wieder auf den Boden, sah sie erneut an und seine Augen strahlten nun Trauer aus. „Mila ich weiß es nicht. Ich will das hier doch auch nicht, aber wir stehen dann in einem halben Jahr wieder an derselben Stelle und dann tut es noch mehr weh. Mir fällt das ganz sicher auch nicht leicht.“
Hatte er ihr überhaupt zugehört?
Was hatte diese Aussage mit dem zu tun, was sie eben sagte? Sie atmete laut aus, sah ihn kritisch an und sagte: „Dir ist doch hoffentlich klar, dass das alles hier für eine vernünftig denkende Person keinen Sinn ergibt?“ Er schnaubte und lächelte. „Es muss auch keinen Sinn ergeben“, da war er wieder, der Zorn in seinen Augen. „Tatsache ist, dass ich dich nicht mehr liebe, du mich unglücklich machst und wir getrennte Wege gehen werden, erstmal.“ Wie ein Roboter, völlig mechanisch ratterte er diesen Satz hinunter. Er blieb kurz stehen und starrte in die Ferne über den Main hinweg. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in fünf Jahren super zusammenpassen und ich dich heiraten werde, aber jetzt im Moment kann ich dir nicht geben was du brauchst und ich will es auch nicht!“.
Mila sah ihn fragend an. Er holte weiter aus: „Du sagtest doch letztens du bist jetzt 23 und du möchtest irgendwann zusammen ziehen, irgendwann heiraten, ein Zuhause und eine Familie?“
„Ja“, antwortete sie.
„Ja, irgendwann. Ich bin 23 und das heißt für mich, dass ich keine Beziehung am Laufen halten will von der ich weiß, dass sie zu nichts führt, aber ich will dich nicht morgen heiraten, ich hab noch vier Jahre Studium vor mir, ich finde nur den Gedanken schön es irgendwann vielleicht mal zu tun. Ich hab darüber nachgedacht. Natürlich, nachdem du mir eine Art Antrag gemacht hast, nachdem wir übers Heiraten gesprochen haben, aber denkst du wirklich ich will einen Mann heiraten, der mich anlügt, sich volllaufen lässt und den ich dann nachts nach Hause bringen muss, weil er sonst von der Bahn überfahren wird? Denkst du, ich will einen Mann heiraten, der für alles seine Mami um Hilfe bittet und der überfordert damit ist, wenn es mir mal schlecht geht? Selbstverständlich nicht. Seit dem bescheuerten Antrag auf dem Festival benimmst du dich wie ein riesiger Angsthase. Du liebst mich, lügst mich an, willst Schluss machen, willst mich wieder zurück, brauchst Abstand, fühlst dich erdrückt, drängst dich mir auf. Du bist einfach dauerhaft nur noch verwirrt und unsicher und das verwirrt mich. Welche Frau macht sowas denn auf Dauer mit?! Ich habe dir gegenüber immer Verständnis gezeigt, ich habe mir deine Probleme immer angehört und mit dir nach Lösungen gesucht, ich habe dich mit der Wohnung unterstützt und dir Mut zugeredet, ich habe deine Erfolge auf der Arbeit mit dir gefeiert, was sonst keiner tat und du hast mich immer wieder einfach nur weggedrückt und erdrückt wie es dir gerade gepasst hat.“
Er blieb stehen und musste das alles sichtlich erst mal verarbeiten. Sie lief weiter und sagte: „Ich wünschte mir du hättest mal offen mit mir kommuniziert. Mir mal gesagt was dich stört, was dich beschäftigt, denn wir wissen beide wir hätten eine Lösung finden können.“ Nun hatte sie sich alles von der Seele geredet und nun waren die beiden auch schon wieder vor dem Wohnkomplex angelangt. Als sie bemerkte, mit sich selbst zu reden, blieb auch sie stehen.
Er weinte.
Wie erbärmlich.
Wieso weinte er denn jetzt? Sie fühlte sich auch nach Weinen, aber sie konnte es nicht. Sie würde ihn nicht trösten. In diese Situation hatte er sich selbst reinmanövriert. „Es tut mir so leid Mila, ich wollte nie, dass es so weit kommt“, waren seine letzten Worte, bevor er in seinen Tränen erstickte und nichts mehr sagen konnte. Erst vor der Wohnungstür fing er sich wieder.
„Ich habe einfach so häufig darüber nachgedacht, ob ich mit einer anderen glücklicher wäre. Ob ich eine andere Freundin brauche, ob ich überhaupt lieben kann, lieben will, ob ich überfordert bin, ob du einfach nicht die Richtige bist. In meinem Kopf dreht sich alles, aber Mila, ich liebe dich nicht mehr.“
Erneut fing er an zu heulen. Sie stand regungslos da und betrachtete das hässliche Schauspiel. Wie seine Nase rot anschwoll und sich rhythmisch mit seinem Schniefen rauf und runter bewegte. So hässlich hatte sie ihn gar nicht in Erinnerung gehabt.
Er schloss die Wohnungstür auf, redete wirres Zeug mit seinem Vater, während Mila begann ihren Koffer zu packen. Ihre Klamotten und Sachen waren alle in zwei Plastiktüten gepackt, neben der Tür deponiert. Als wären sie Abfall, als wäre sie die Müllabfuhr.
„Ich hatte dich doch gebeten meine Sachen nicht mehr anzufassen“, sagte sie enttäuscht. Sie hatte nicht gewollt, dass er ihre Unterwäsche nochmals berührt. „Ich dachte so ist es einfacher und du musst sie nicht mehr in der ganzen Wohnung zusammensuchen. Ich habe auch alles extra noch mal frisch gewaschen“, entgegnete er stolz.
Mila ekelte sich vor dem Gedanken, dass Finn alles noch mal durchgesehen hatte und das, obwohl sie genau das nicht wollte.
„Finn, meine Sachen sind alle in einer Kommode gewesen. Da hätte ich absolut nichts zusammensuchen müssen, denn jedes Mal wenn ich nach dem Wochenende bei dir hier in der Wohnung wieder nach Hause gefahren bin, habe ich alles feinst säuberlich in den Schrank zurück geräumt. So wie es sich gehört. So, dass es in deiner Wohnung unter der Woche nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, dass du eine Freundin hast“, sie schnaubte verächtlich.
Der Abschied
Vielleicht hatte er sie doch nie geliebt. „Es tut mir leid“, war seine Antwort. Das war scheinbar das einzige was ihm noch einfiel. Sie schloss den Koffer und zupfte ihre Jacke zurecht. Mila sah auf die Uhr. „16.28 Uhr – wann fährt die Bahn?“
„Um 38“, war seine Antwort. Sie sah ihn fragend an.
„Das schaffst du schon, wenn du dich beeilst!“. Sie wusste sie würde es nicht schaffen. Sie war den Weg zum Bahnhof so oft gelaufen und man benötigte etwa 15 Minuten. Allerdings hatte sie auch keine Lust jetzt noch eine halbe Stunde mit Finn und seinem Vater hier rumzusitzen. So mobilisierte sie ihre letzten Kräfte, ihr war nun auch schlecht, nickte und öffnete die Tür. Finn wollte sie zum Abschied umarmen, aber sie wich naserümpfend zurück.
„Finn, ich möchte dich zu nichts überreden und das kann ich auch gar nicht. Ich weiß nicht, was wirklich in deinem Kopf herumschwirrt und was der wahre Grund ist für dein explosives und für dich völlig fremdes Verhalten. Ich vermute du bist überfordert und du bist gestresst. Du scheinst psychische Probleme zu haben, so wie du dich die letzten Wochen verhalten hast. Dich scheint einiges über unsere Beziehung hinaus zu belasten“, sie stoppte und sah ihn an.
In seinen Augen schien Angst aufzukeimen und auch Tränen stiegen erneut empor. Sie fuhr fort: „Ich kann jetzt nicht mehr auf dich aufpassen, dir Stabilität geben und emotional für dich da sein, aber bitte such dir Hilfe. Sprich mit Jemandem darüber. Ich mache mir Sorgen um dich, denn das bist nicht du!“
Sie nickte ihm zum Abschied zu, drehte sich um und wollte gerade gehen, als Finn ihr hinterher rief: „Mila, warte, der wahre Grund ist: …
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